Berszán István
Die Textualität: eine neue Stereotypie der Komparatistik
Die Einbeziehung des Begriffs Stereotypie in die Thematik einer Konferez für komparative Literatur bedeutet, dass es eine, von den Archeotypologien begründete komparatistische Forschung wie von Northrop Frye oder von Gilbert Durand kaum mehr gibt. Die Funktion der stilisierten Modellen der Mythen als Vermittlungseinheit oder als grammatisches Regelsystem aufgefasst, bzw. die Strukturen der kompensierenden Phantasie, die längs den antropologischen Trassen – die man zwischen den Motivation der Symbole bewandern kann- zu finden sind, gelangen allmählich aus der Position der Analysentechniken in die Position des Subjekts der Analyse. Dieser Wechsel – wie ich es sehe – wird durch drei Forschungsmethoden verrichtet. Eine Methode ist die Hermeneutik der rezepzionsgeschichtlichen Verschiebung von Tradition, die in Archetypologien geordnet ist. Die zweite ist die Analyse der Sprachformationen die auf Curtius zurückgeht, die von Foucault zu der Archeologie des ganzen westlichen Wissen entwickelt wurde, dann von Derrida und Paul de Man zu der Theorie des Schreibens, bzw. zu der Theorie der unüberwindbaren Bewegungsraum der Rhetorizität. Der dritte Tendenz wird von den allmählich emporkommenden kognitiven Wissenschaften gebildet, die den, seit dem Poststrukturalismus herrschenden philosophischen Diskurs zu kompensieren versuchen. Diese Wissenschaften verwenden die Entdeckungen der neueren Spitzenwissenschaften (Gehirnphysiologie, Genchirurgie) bei der pünktlicheren Verfolgung der kognitiven Prozessen.
Anstatt der von den kulturellen Veränderungen unabhängigen Archetypen, die als der Ursprung aller künftigen Folgen erscheinen, kommen in diesen Analysen solche geschichtliche Formationen in den Vordergrund, die bereits nicht deduktiv erklärt werden, sondern durch die Analyse jener diskursiven Regeln und Alternativen, die von früheren Regeln und Alternativen abgegrenzt, zu diesen Formationen geführt haben. Die Forschung jener Bedingungen ist wichtig geworden, die den Wechsel, die Reihenfolge, die Beziehungen der voneinander verschiedenen Verhältnisbündel ermöglichen. Die auf die Stereotypien gerichtete komparatistische Forschung wird nach den Bildungsregeln der Traditionschaffung, des Diskurses-bzw. die Formationen des kognitiven Prozesses-fragen: nach den Objekten, Aussageformen, am meisten wiederkehrenden Begriffen einer literarischen oder kritischen Sprachweise, nach der Verhaltensordnung von Teoremen, Schemas anderer Diskurse. Die Stereotypien als Sprachformationen sich zwar nicht auf demselben Niveau befinden, auch wenn sie wegen ihrer Abgegriffenheit, Routinehaftigkeit oft als selbständige Menge abgetrennt werden. Es gibt einen Unterschied zwischen der obligatorisch vorgeschriebenen Szenerie der pastoralen Dichtung und deren gewöhnlichen, klassifizierenden oder sentimentalischen Formeln, und es gibt einen ganz anderen Unterschied zB.zwischen dem antropologischem Begriff des Menschen und dem Prinzip der zentralen Position des lyrischen Subjekts. Die Stereotypien können auf das Bereich der thematischen Gemeinplätze eingeengt werden, weil das Thema selbst nicht ein gegebenes, aussersprachliches Gebiet ist, sondern das Ergebnis bestimmter Bildungsregeln, bzw. das Ergebnis einer stereotypen Entscheidung für eine, im Rhamen des Diskurses geöffnete Möglichkeit.
Wenn wir bei dem bestimmenden Moment der Abgegriffenheit bleiben, der Sprachformationscharakter der Stereotypien wird bestätigt. Ein abgegriffenes Schema ist zwar selbstverständlich, aber zugleich nichtsagend leer. Was können wir davon verstehen, was überhaupt keinen Sinn hat? Nur so viel, dass man mit einer Formation zu tun hat, die von einem gültigem Forum akzeptiert wurde und die als „wissenswert” bezeichnet wurde. Auch wenn ihr Sinn zweifelhaft ist, der Zweifel wird unterdrückt: die anderen werden es wohl verstehen, „jeder sagt doch so”. Die Stereotypie ist also sagbar, aber uninteressant. Es wird nur dadurch interessant-z.B. als Objekt einer Konferenz-, wenn wir die Frage stellen: warum gerade das ist offenbar sagbar, und warum ist es nicht offenbar, warum es offenbar ist.
Diese Fragestellung wird –von den stereotypischen logischen Bocksprung abgesehen- durch die Wendung komplizierter, wenn wir über die Stereotypie der Textualität sprechen. Denn heutzutage das ist es, was bestimmt nicht sagbar ist. Wir werden darüber sprechen, warum nicht(und warum doch), aber ich möchte vorher meine Arbeithypothese formulieren: die am meisten bestimmenden Stereotypien der Bildungsregeln eines Diskurses sind diejenige, die nicht sagbar sind.
Wenn die Stereotypien als Sprachformation definiert werden, so behauptet man, dass der Raum ihrer Entstehung die Textualität ist: jenes Spiel der Elementenzerstreuung, bzw. der Verhältnisentstehung, das nicht in endgültige Formeln, in uralte, zurechtweisende Typen gefasst werden kann. Die Textualität selbst kann also in diesem Sinn keine Formation werden, weil sie in sich selbst, in ihrer Totalität nicht gegeben ist. Sie kann sich höchstens sekundär ergeben, unter dem Vorwand von einem Diskurs, der die Textualität als Objekt hat. Man darf also das Thema der Textualität mit dem Spiel der Textualität nicht verwechseln.
Nun stellt sich die Frage, ob wir mit der Feststellung des Unterschieds das Problem gelöst haben. Sollte man den Sprachformationscharakter der Stereotypie nicht überprüfen? Haben wir den ausserzeitlichen, universalen Charakter des Typos nicht in die einzige, ausschliessliche Zeit der textualen Geschichte der Formation hinübergerettet? Darauf deutet hin, dass die komparatistische Literatur gerade (und ausschliesslich) Texte vergleicht. Diese Tatsache ist so selbstverständlich, dass sie ausser jeder Zweifel steht. Denn die Literatur ergibt sich auf dem elementarstem Niveau als Mengen von literarischen Texten. Selbst das Wort „Literatur”, dessen Gebrauch den Theorien der Textualität vorangeht –lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die unstreitbare Materialität der Zeichnenden? Die Texthaftigkeit der vorkommenden Ideen, Objekten, Subjekten, die den Text als etwas Vorangehendes aufgefasst haben, wurde gerade durch die literarische Fiktion enthüllt. Man sollte sich überlegen: warum klammern wir uns an die textuale Materialität des Buchstabens bei der Untersuchung der Praxis von Lesen und Schreiben? Warum wählen wir uns von den Geschehnissen der Anschaffung eines Buchesnur die textuale Aktivität des Interpretationsprozesses aus? Die anderen Aktivitäten: die Erforschung, das Erblicken, das frenetische Warten (nach Hause bringen, zur Seite legen), die Auswahl des Leseplatzes, das Aufmachen, das Durchblättern, die Pose, in der wir das Buch lesen, der Rhytmuswechseldes Atmens, die Enttäuschung, die Erleichterung, die Liebe für die Lektüre, kurz gesagt die Impuls-und Dauersuche während des Lesens[1]. Denn auch diese Momente sind genau so „materiell”, wie der Buchstabe der „Literatur”; alle sind Zubehöre des Lesens, wie die Mengen der Texte. Es wäre nicht ratsam alle diese Momente als zusätzliche, nicht-literarische Umstände zu deklarieren, denn der Wirkungskreis der Textualität beeinträchtigt werden könnte. Die Textualisierung dieser Momente ist auch gewagt. Dass diese Ausdehnung doch um jeden Preis zu versuchen ist, folgt daraus, dass der Vergleich strenggenommen textual ist auch in den nichtliterarischen Disziplinen der Komparatistik wie Musik, Etnografie, Bildende Künste.
Es geht nicht nur um die lingvistischen, bzw. die poetischen Metaphern, die die Figuren der Bilder, der Klänge, der Riten beschreiben, sondern vor allem geht es um die theoretische – strategische Endscheidung, in deren Folge der Vergleich bedeutet: in Beziehung setzen. Dank dieser Wahl-die wieder selbstverständlich zu sein erscheint – die Verbindungen kommen nur als mit dem anderen vergliechene Abstandschaffung, also als Artikulationsgesten in Betracht. Es kann so erscheinen, dass die Folge des Vergleichs die Abtrennung ist, obwohl der Unterschied nicht die Bedingung aller Verbindungen ist sondern nur die Bedingung der Verhältnissschaffung. Die Calvinoischen, frenetischen Erwartungen des Lesers sind in Beziehung mit der Lektüre aber kein Verhältniss artikuliert sich zwischen ihnen. Die Erwahrtung geht der Lektüre nicht voran, denn sie klammert sich an die jeweilige Fortsetzung des schon Gelesenen. Das ist auch nicht haltbar, dass die Erwartung die Lektüre deuten würde; denn wenn sie wirklich freneteisch ist, so ist sie keine Funktion eines, auf den Sinn gerichteten heuristischen Prozesses (zB. Erwartungshorizont) sondern ein bereitwilliges Entgegen kommen dem Unvoraussetzbares: es gibt keine Interpretation die für den Leser den nächsten Abschnitt der Lektüre ersetzen könnte. Der textuale Vergleich entzieht sich den Befehlen der erwartungserregenden Lektüre – so, ohne „Betroffenheit“ – deckt nur Regeln auf, die Verhältnisse zwischen Strukturen bezeichnen, die in allegorischen Beziehung zu einander stehen. Diese Stereotypie der Textualität die – inbegriffen die Texte die zu vergleichen sind – alle „Formation“ in einem Verhältniszusammenhang erfasst, ist ein unaufallend abgegriffener Gebrauch der westlichen Praxis der Verhältnisbildung.
In der „Archeologie des Wissens“ redet Foucault[2] über die eigenartige Funktion der Aussage (énonciation) die sich von dem grammatischen oder logischen Satz darin unterscheidet, dass sie als eine Bedingung deren Entstehung funktioniert. Diese Funktion konnte bis der späteren Erscheinung der archeologischen Niederschreibung unsichtbar bleiben, weil sie „zu den allzusehr bekannten Dingen gehört, die wir ständig aus dem Auge verlieren“[3], weil „sie unsichtbar und zugleich unverbergt ist“[4]. Denn die Aussage, obwohl sie die Existenzweise von Zeichenmengen bildet, erscheint nie als eine neue Einheit neben den Sätzen, Propositionen, Ausdrücken, sondern sie funktioniert in solchen Einheiten. So wird dann von jeder Analyse der Sprache vorausgesetzt, ohne dass man an das Tageslicht gebracht werden müsste. Foucault macht uns aufmerksam, dass das Gebiet der Aussagen nur als „namenloses Feld“[5] beschrieben werden darf, dass dieses Gebiet nicht auf eine bewusstseinsartige, kollektive oder transzendente Subjetivität beziehen werden kann. Ob diese Vorsicht nicht der Komplize des bestimmt nicht Sagbares ist – auch in dem archeologischen Diskurs nicht? Denn solange die Funtion der Aussage kein Subjekt hat, bleibt sie das Hoheitsgebiet der Bildung und Verteilung aller subjektiven Position. Wer ist denn jener der die Übertretung der Diskursregeln doch verbietet – folgendermaben: „Man darf die Aussagen nicht auf irgendwelche suveräne Subjektivität beziehend einräumen, sondern die für das Aussagefeld charakteristische Wirkungen in verschiedenen Formen der aussagenden Subjetivität identifizieren.“[6] Welche subjektive Postion ist diejenige in diesem Satz, die „unsichtbar und zugleich unverbergt ist“? Eben die der aussagenden Subjektivität, auf die sich das Verbot beschränkt (in jedem Sinn des Wortes).
Das Subjekt wird durch seine Gewohnheiten definiert, durch diejenige Übungen, die das Subjekt mit den ähnlich handelden Subjekten zusammen praktiziert, bzw. durch die Art und Weise wie das Subjekt praktiziert. Wenn aber das Subjekt durch seine Gewohnheiten definiert wird, während das Subjekt seine Gewohnheiten definiert, diese Gegenseitigkeit bedeutet nicht unbedingt, dass sie einander bilden. Die Bildungsregeln gelten nur für die diskursiven Übungen, die das aussagende Subjekt macht. Die Sprecher haben leider auch schlechte Gewohnheiten. Sie sprechen zu viel, oder sie sprechen auch wenn sie lieber schweigen sollten. Die archeologische Beschreibung gibt manchmal der Versuchung nach, jede Übung als eine Variation der diskursiven Übung zu betrachten. Es ist noch schlimmer wenn jemand die nicht diskursiven Übungen mit Hilfe der diskursiven Übungsregeln zu lösen versucht: stellt Beziehungen klar, wenn man auf einen Impuls achten sollte, oder man reduziert die Komparatisktik auf die Untersuchung der Texte. Es geht nicht darum, dass man sich an anderen Regeln halten sollte, sondern darum, dass man auch solche Befehle folgen sollte, die keine Regeln sind: sie ziehen nicht in ein Verhältnisnetz, sie zwingen nicht zur Einstellung; sie schalten in eine andere Art von Übungen ein, solche Gesten anregend die anstatt der entfernenden Verhältnisherstellung in der Dauer des betroffenen Rhytmus halten. Der Vergleich ist in diesen Fall eher Identifizierung: eine gesteigerte Abstimmung des Verhaltens auf das Objekt des Vergleichs. Anstatt Unterscheidung das lernen, wie man aus einer Übung in die andere übergeht. Das Dilemma ist dieses mal keine Entscheidungsfunktion innerhalb der diskursiven Übung, sondern das Geschehen der Beschlussfassung als zeitliche Orientierung. Sich in der Zeit orientieren bedeutet: man weiss wann die Zeit gekommen ist. Im Vergleich zu der deskriptiven Archeologie des Wissens das ist eher die praktizierende Kunst der Kenntnis: zB. Die Sprach- und Lesenkenntnis, in der sich die diskursive Geschichtlichkeit des Archives in verschiedenen Zeiten verwandelt, in solche Ereignisse, in denen die Beziehungen nicht von Verhältinssen sondern von Abstimmungen, Resonanzen erregt werden. Natürlich, so eine Komparatistik erfordert mehr, als die Rede. Sie kann auf einer traditionellen Konferenz nicht behandelt werden, in analytischen Studien auch nicht: man braucht solche Übungen, die unsere Forschungs- und Lesegewohnheiten verändern.
So wie in der Arcehologie von Foucault nicht unbedingt die geheiligten Einheiten der Sprache (Satz, Buch, Werk) den Ausgangspunkt der Aussagebehandlung gebildet haben, so knüpfen sich die Lese- und Schreibübungen nicht unbedingt an gelesene oder gedruckte Texte. Wir sollen neben den Aussagefelder auch andere Felder entdecken, wo wir durch unsere sichtbare und unsichtbare Geste hingeführt werden. So können wir dann auch in den geschriebenen Lektüren den nicht regelhaften Antreiben nachgehen. Dieses Lernen nimmt mehr Zeit – auch in weiterem Sinn des Wortes – ich stelle einige Übungen als Beispiel vor.
Bleibe in deinen Schuhen
Ich bin unter einem Baum stehen geblieben; das Blau griff zwischen die Äste hinein und umfaste die Blätter mit unendlichem Feinsinn. Ich zog meine Schuhe aus, ging ein Stück weiter und drehte mich um. Ich sah, dass ich nicht mehr unter dem Baum bin: meine Schuhe sind einfach leer. Der unsagbare Fülle des Augenblicks bestürtzt mich. Und der Verlust. Ich beeilte mich zurück zu meinen Schuhen, damit ich solange unter dem Baum bin, auch da bleibe.
Oder nimm ein gutes Buch, setz dich in den Schatten eines Busches und lies aufmerksam einen Abschnitt. Dann leg das Buch in das Gras, geh ein Paar Schritte weiter und schau zurück: du bist nicht mehr an dem Busch, nur der Wind blättert in deinem Buch. Das wird dir helfen, auf die Zeit des Lesens besser zu achten.
Lass dich halten
Es ist schon eine Zeit vergangen, dass ich meine Spuren bei dem Sternenlicht verloren habe. Der Schnee in dem Tannenwald reichte bis zum Knie und ich wusste, dass ich noch zwei Stunden zu laufen habe bis zu dem Weg, wo der Wagen steht-auch wenn ich mich nicht verlaufe.Ich habe Angst gehabt. Die Zureden, die ich mir selbst wiederholt habe, haben nicht geholfen. Plötzlich habe ich darauf gedacht,wovon ich fliehen wollte: auf die dichte Dunkelheit, auf die Schneedecke unter meinen Füssen, auf das Quitschen der Baumstämme im Wind und auf die Müdigkeit in meinen Beinen. Ich habe den körperlosen Samt der Schatten gesehen, den nächtlichen Glanz der Schneekristalle, die Beharrlichkeit der Tannen und den gleichmässigen Rhythmus meiner Beine gefühlt. Die früheren Feinde wurden immer freundlicher. In dem dichten Wald werde ich von einer tastbaren Behaglichkeit gepackt. So kann sich ein Hirsch in seinem Versteck fühlen.
Wenn du nachts nicht in die Berge gehen pflegst, dann suche dir einen dunklen Garten oder eine dunkle Gasse. Du sollst das Schauergefühl nicht gleich unterdrücken; achte auf das Schauderhafte.
Vergleichende Lesetour
Die Teilnehmer der ritualen Lese-und Schreibgruppe habe ich auf eine Lesetour mitgenommen.Ich hätte gerne mit ihnen so gelesen, wie ich damals mit meinen Freunden die Indianerbücher gelesen habe. Wir haben uns die Indianerbücher ausverliehen und inzwischen haben wir Indianer gespielt. Wir haben im Wald eine Hütte gebaut, wir haben gelernt mit dem Messer und mit der Axt in die Bäume zu werfen. Wir haben den Fluss mit Deich aufgestaut, ein Holzfloss gebastelt mit dem wir lange Reisen gemacht haben. Das Floss war ausgezeichnet für das Angeln und für den Kopfsprung. Mein Hund durfte auch mitkommen, er gehörte zu uns, weil er gut ins Wasser springen, Löcher graben und auf Bäume klettern und Verstecken spielen konnte. Er konnte auch lachen.
Wir haben aber keine Szenen aus dem Indianerbuch gespielt: wir waren treuer, wir haben ihre Geschichten mit uns geschehen lassen.
Ich habe über diese Sachen meinen Werkstatt-Mitgliedern erzählt, dann haben wir uns auf den Weg gemacht mit dem täglichen Brot und mit der täglichen Lektüre in unseren Rucksäcken. Ich habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass wir über das Gelesene nicht sprechen werden.Auf der Universität sprechen wir manchmal auch über Bücher, die wir nicht gelesen haben. Das sollten wir damit ausgleichen, dass wir etwas lesen, aber wir reden nicht darüber.Nun ist es wichtig, dass wir lesen.
Aber wie sollten wir lesen? — haben sie die Frage gestellt.Ich habe ihnen darüber erzählt, wie ich mit meinem Vater auf das Wild gelauert habe.
Wir haben nie Waffen mitgehabt. Eine Nacht, Ende September, haben wir in einem Hirschfutterkasten geschlafen. Wir sind nicht gleich eingeschlafen, weil der Wald um uns herum laut von Hirschbariton war. Die Aufregung hat uns wach gehalten-wir warteten auf die Lauer von nächsten Morgen früh-vielleicht erblicken wir sogar die Hirsche. Auf einmal hörte man Asteknacks aus dem Wald. Ein bisschen später noch einmal. Schleichen wir näher, flüsterte ich meinem Vater zu, und ich wollte schon runterklettern. Er legte seine Hand auf meine Schulter: “Wir warten noch“. Der Futterkasten war von einer kleinen Waldwiese umgeben.Auf einmal erschien der Eber , dort, wo ein Stumpf am Waldrand stand. Dem Eber folgte eine ganze Herde nach. In dem Stumpf lag Salz für Hirsche da. Der Regen hat den Salz gelöst, und der Stumpf war nass von der Salzlösung. Die Wildschweine haben sich bemüht, dem Stumpf näher zu kommen; man hörte, wie sie sich um die salzige Holzstücke reissen und schnauben. Wir bewegten uns nicht. Die Herde begann um den Futterkasten herumzuwühlen. Der günstige Windgang und die Höhe des Futterkasten hat uns vor dem guten Spürsinn der Herde geschützt. Ein Eber kam ganz nahe auf uns zu; man konnte ihn vom Heu kaum sehen. Der ganze Futterkasten begann zu wackelnals er sich gegen eine Tragsäule rieb. Er schmatzte, grunzte zufrieden und verliess die Lichtung, lief der Herde nach.
So haben wir auch das Lesen versucht: in unserem Anstand haben wir darauf gewartet, dass die Antreibungen uns findenund wir wollten sie nicht abschrecken.
Bis zum Mittag haben wir dreimal angehalten. Einmal haben wir uns auf den Steinen eines Baches Platz gefunden, dann wieder auf einem Hügel, um das Lagerfeuer. Der Bach plätscherte, die Vögel sangen, ein Schäfer pfiff, das Feuer knisterte. Wir alle haben auf dieselbe Lektüre gelauert. Dann haben wir einer nach dem anderen einen kurzen Abschnitt gelesen-jenen, der sich gegen unseren Anstand rieb. Nach dem Mittagessen machten wir uns auf den Rückwegund wir sind genau an diesen Stellen stehengebliben, wie auf dem Hinweg.
Einige haben um weitere Hinweise gebeten; ich nahm die Axt in die Hand und warf sie in einen Baumstamm. Genauso, wie damals, als ich noch Indianer war. Dann kamen alle dran, schön der Reihe nach. Sie sollten lernen, wie die Axt kreiselt, wie man sie aufhebt, schwingt und mit welcher Kraft wegwirft. Wir haben auf das Axtwerfen nicht so geachtet, dass wir später darüber etwas sagen wollen, sondern wie auf eine Übung. Wir sollten die Geste lernen. Langsam haben wir die Versuche der anderen mit den Muskeltönengefolgt. Wir konnten nachher viel besser lesen.
In das Tal, in dem unser Heimweg führte, schien der Dämmerschein hinein. Wir hüpften auf die Steine des Wassers in dem abendlichen Wald. Es war wie ein Ballett. Wie das Zusammenlesen.
Anmerkungen
[1] Siehe erste Kapitel in: Italo Calvino: Se una notte d’inverno un viaggiatore, Torino: Gulio Einaudi Editore S. P. A. 1979.
[2] Michel Foucault: L’archéologie du savoir, Paris: Éd. NRF-Gallimard, Bibl. des Sciences Humaines 1969.
[6] Il ne faut plus situer les énoncés par rapport à une subjectivité souveraine, mais reconnaître dans les différentes formes de la subjectivité parlante des effets propres au champ énonciatif. , p. 160