Laura Gabriela Laza
Hugo Meltzls programmatische Schrifte
Zehn Jahre bevor Max Koch in Berlin seine „Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte“ herausgab, erschien in Klausenburg unter der Leitung von Hugo Meltzl, damaligen Professor an der Universität in Klausenburg, und seinem Freund und Kollegen Emanuel Brassai eine Zeitschrift, die in mehreren Sprachen Artikel zu Literaturwissenschaft und Literaturgeschichte beinhaltete. Allein der Titel “Osszehasonlito Irodalomtortenelmi Lapok” der dann später, 1879 „Acta Comparationis Literarum Universarum“ wurde, war in Deutsch und Ungarisch und in anderen Sprachen verfaßt, insgesamt 12. In dieser Zeitschrift wurde zum ersten Mal von einer neuen erst im entstehen begriffenen “Zukunftswissenschaft” geredet, von der Vergleichenden Literatur. Hugo Meltzl faßt die Aufgaben der neuen klausenburger Zeitschrift in drei programmatischen Artikel zusammen, die er in der 9., sowie in der 15. Nummer des ersten Erscheinungsjahres 1877 publiziert, sowie in der 24. Nummer des Jahres 1878: “Vorläufige Aufgaben der Vergleichenden Literatur”. 1888 fühlt er schon die Konkurrenz der berliner Zeitschrift von Max Koch „Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte“, und dies könnte auch der Grund sein, warum 1888 die letzte Nummer der Zeitschrift erscheint.
In diesen Artikeln geht H. Meltzl von drei Grundprinzipien aus: von der Übersetzungskunst, dem Polyglottismus und dem Dekaglottismus, welche die drei “Werkzeuge zur Verwirklichung der hohen vergleichend-literarischen Ziele”[1] seiner Ansicht nach, darstellen. In den drei programmatischen Artikeln äußert Meltzl seine Thesen im Zusammenhang mit der neuen Wissenschaft, der Vergleichenden Literatur. Mehr als das, er plädiert für eine Reform der Literaturgeschichtsschreibung und für eine einzige universale Wissenschaftssprache, was für jene Zeit zwei sehr gewagte Gedanken waren.
Schon im ersten Artikel jongliert Meltzl mit neuen Termini oder gibt alten Termini neue Bedeutungen. Er nennt die neue Wissenschaft: Vergleichende Literatur und ist sich auch bewusst, dass seine klausenburger Zeitschrift die erste ist, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzt. Er erkennt, dass die Vergleichende Literatur bei weitem keine fertige Wissenschaft ist, und trotzdem oder besser gesagt deswegen, sie eine Zeitschrift braucht. Die Zeitschrift soll ein Ort des Zusammenkommens der Dichter und Philosophen aller Nationen sein. Da sie eine neue Wissenschaft ist, kann sie sich zugleich nicht auf bereits existierende Kenntnisse berufen, sondern muss neue Horizonte forschen. Nicht nur der Vergleich als primäres Prinzip soll nach Meltzls Ansicht die Basis des neuen Presseorgans sein, sondern “Acta Comparationis…” muss zugleich “ein Organ für Übersetzungskunst und Goethesche Weltliteratur sein“[2]. Das vorhandene Material soll also nicht nur verglichen werden, sondern “von allen Seiten ergänzt und intensiv gesteigert”[3]. Der erste Artikel ist diesem wichtigen Prinzip der Übersetzungskunst gewidmet. Die Übersetzung ist eines der Mittel zur Steigerung des internationalen Literaturverkehrs. Den Vergleich als Prinzip in sich fasst Meltzl als Hauptinstrumentarium dieser neuen Wissenschaft, der Vergleichenden Literatur. Eigentliche Vergleiche kann man aber nur dann erstellen, wenn die sprachlichen Grenzen überwunden werden. Und dazu greift er auf ein anderes Prinzip zurück, nämlich auf die Übersetzungskunst. Sie stellt eine vorläufige Aufgabe der Vergleichende Literatur da, denn die eigentliche Aufgabe ist der Vergleich. Die Übersetzungskunst und die Weltliteratur sollen erstmals aber einer anderen Wissenschaft dienen, der Literaturgeschichte. Meltzl deutet darauf hin, dass die Literaturgeschichtsschreibung eine Reform benötigt. Andere Prinzipien sollen ihr zugrunde liegen als die bisherigen. Nicht die politische oder die ökonomische Macht soll den Wert einer Nationalliteratur entscheiden, sondern einzig und alleine der literarische Wert. Zugleich soll sich die Literaturgeschichtsschreibung nicht an sozialen oder historisch-politischen Geschehnissen orientieren, sondern eigene Bewertung- und Ordnungskriterien entwickeln. Meltzl deutet ironisch sogar darauf hin, dass sich die Literaturgeschichtsschreibung bis dahin auf die Todesjahre der Könige berufen hätte. Diese neue Art der Literaturgeschichtsschreibung soll auch der Vergleichenden Literatur dienen. Wenn man die Nationalliteraturen in ihren umfangreichen Erscheinungen kennt, erstellt man auch Vergleiche zur eigenen Literatur. Und diese wiederum führen zu einer besseren Kenntnis der eigenen Literatur.
Meltzl schließt seinen ersten Artikel indem, er noch einmal die programmatischen Punkte der Zeitschrift erläutert: die Zeitschrift soll ein Vereinigungsort der Dichter und Philosophen aller Nationen werden, sie soll sich ausschließlich dieser neuen Wissenschaft widmen und die gewöhnlichen Wissenschaften nicht berücksichtigen, da diese ohnehin schon eigene Zeitschriften haben.
Im zweiten Artikel problematisiert Meltzl ein weiteres Prinzip der Vergleichenden Literatur, den Polyglottismus. Durch Übersetzung wird der universale Literaturverkehr gesteigert, eine Erkenntnis, die Meltzl im ersten Artikel schon gemacht hatte. Man soll sich aber nicht nur auf Übersetzungen beschränken. Wünschenswert wäre, die Literatur in ihrer Originalsprache lesen zu konnen. Polyglottismus sei also das Mittel zur wahren Kenntnis, denn eine Übersetzung kann nicht alle Nouancen eines Werkes wiedergeben. Meltzl geht noch weiter und schlägt sogar vor, auch in der Sprache über ein Werk zu rezensieren, in der das jeweilige Werk geschrieben wurde, ein Vorhaben, das “Acta Comparationis“ wenigstens im Bezug auf die deutsche und ungarische Literatur zu verwirklichen versuchte, und nicht nur. Goethes Konzept der Weltliteratur wurde also erweitert. Und zwar bezieht es sich nicht nur auf die Übersetzungsliteratur, sonder auf alle jemals geschriebene Werke der Universalliteratur. Dieses neue Prinzip dient einem direkten Literaturverkehr und nicht einem indirekten, wie die Übersetzungskunst. Was man aber bei der Anwendung eines solchen Prinzips berücksichtigen muss, das ist die nationale Eigenart der jeweiligen Nationalliteraturen. Diese muss nämlich unangetastet bleiben. Das “rein Nationale jeder Nation”[4] muss bewahrt werden. Die Literatur lebt durch die Sprache einer Nation und in einer Epoche der starken nationalen Behauptung und der Intoleranz gegenüber der nationalen Minderheiten wagt Meltzl die Idee zu unterstützen, daß die Sprache und dadurch die Literatur aller Nationen geschützt werden muss, unabhängig von der politischen Macht oder von der Zahl der Bevölkerung, die jene Sprache repräsentiert. Und er nennt auch ein Beispiel aus Russland, wo die Zensurbehörde durch ein „Ukas“ vom 16. Mai 1876 den literarischen Verbrauch der ruthenischen Sprache verboten hatte, und dabei muss man auch bedenken, dass es sich um ein 15 Millionen Volk handelte. Meltzl plädiert also für Toleranz, für Polyglottismus statt starrer Monoglottismus.
Am Ende des zweiten Artikels kommt er wieder konkret auf die eigene Zeitschrift zu sprechen. Er schlägt im Sinne des Durchsetzens dieses neuen Prinzips des Polyglottismus, die Eröffnung einer neuen Rubrik vor: „Phrontisterium“. Es handelt sich dabei um ein “kleines polyglottes Parlament”[5], wo sich Kulturmenschen aus verschiedenen Ländern sich zu diversen Problemen der Gegenwartsliteratur äußern, natürlich in der jeweiligen Sprache.
Schon im zweiten Artikel erkennt Meltzl, dass die wirkliche Durchführung des Prinzips des Polyglottismus ein Ideal bleibt. “Im Interesse einer weisen Ökonomie”[6] beschließt er daher, den Polyglottismus auf einen Dekaglottismus zu beschränken. Es handelt sich um zehn moderne Nationalliteraturen mit ” wahrhaft weltliterarischen Erscheinungen in Europa”[7]: die Deutsche, die Französische, die Englische und die Italienische, als die vier wichtigsten und dazu die Spanische, die Portugiesische, die Niederländische, die Schwedische, die Isländische und die Magyarische. Die anderen Literaturen sind seiner Meinung nach, entweder nur Volksliteraturen oder wenn wertvolle Literaturen, dann aber meist jüngeren Datums und meistens “naturalistischer bestenfalls romantischer Färbung”[8]. Hier nennt er die Literaturen der Dänen, der Finnen, der Norweger, der Letten, der Esten, der Basken, der Iren, der Bretonen, der Polen, der Tschechen, der Wenden, der Serben, der Russen, der Neugriechen, der Albaner, der Rumäner, und der Türken. Aus heutiger Sicht sind diese Literaturen sicherlich vom hohen literarischen Wert und haben eine große Rolle zur Entwicklung der Weltliteratur beigeleistet, aber Meltzls Wertungskriterien hingen zu der Zeit vom Vielen ab, unter anderem sicherlich auch von der Sprache der jeweiligen Literaturen, da er selbst manche dieser Sprachen nicht beherrschte, und die Übersetzungen nicht so zahlreich waren, wenn überhaupt vorhanden. Weiter bemerkt er die Verwandschaft zwischen der ungarischen und der deutschen Literatur. In der kurzen Vorstellung dieser zehn Nationalliteraturen erstellt er schon erste Vergleiche, und diese können unserer Ansicht nach, als erste Versuche der Empirie dieser neuen Wissenschaft angesehen werden. Er betont aber, daß diese Kategorisierung andere Literaturen nicht ausschließe. Es würde auf keinen Fall bedeuten, daß nur diese zehn Literaturen das Objekt der Zeitschrift und damit der Wissenschaft darstellen sollten.
In diesem Zusammenhang kommt er noch einmal auf das Wertungsystem der Literatur zu sprechen, denn nicht die politische Macht soll hier maßausgebend sein, sondern die literarische Ästhetik. Alle Literaturen sind letztendlich gleich wichtig. Aus dieser Sicht müssen auch die asiatischen Literaturen in den universalen Literaturverkehr miteinbezogen werden, was sicherlich die „Führerrolle“ des Dekaglottismus in Frage stellen würde. Er erkennt, daß in diesen, bis dahin wenig geforschten Literaturen, ein großes Potenzial steckt, und daß in der literarischen Ästhetik eine Wandlung stattfinden würde, wenn man diese Literaturen miteinbeziehen könnte. Nun stößt man aber wieder auf die Grenzen der Sprache, und dazu kommt ein größeres Hindernis, das der Schrift, denn wie man weiß liegen den asiatischen Sprachen andere Schriftsysteme zugrunde als den Europäischen. Einen Fehler den Meltzl hier begeht, ist meiner Meinung nach, vorzuschlagen, daß die asiatischen Literaturen sich unserem Schriftsystem anpassen sollten. Meltzl geht davon aus, im Sinne des Polyglottismus, daß nur unter diesen Voraussetzungen man vom einem „wahrhaftigen universalen Literaturverkehr und gründlicher Vergleichung“[9] reden kann. Die Grenzen der Sprache und die der Schrift müssen überwunden werden, dies ist ein Vorhaben der neuen Wissenschaft. Da würde aber genau die Eigenart der Sprache verloren gehen, genau das wofür Meltzl selbst plädiert. Trotzdem laßt sich diese These mit eine sehr fortschrittliche Idee zusammenbringen, der einer Weltsprache in der Wissenschaft, wie einst das Lateinische.
Meltzl gibt zu, daß der Dekaglottismus einerseits „bloß modern“ und anderseits „bloß europäisch“[10] ist. Trotzdem kann er als ein Werkzeug zur Verwirklichung der vergleichend-literarischen Ziele angesehen werden.
Meltzls programmatische Artikel bleiben vor allem die Zeugnisse der Theorie einer neuen Wissenschaft am Ende des 19. Jh., der Vergleichenden Literatur. Zugleich sind sie auch der Ausdruck des offenen Denkens von Meltzl. Ausgehen von den drei Prinzipien äußert Meltzl eine moderne Fassung von der Literaturgeschichtsschreibung, von dem Goetschen Prinzip der „Weltliteratur“, das von vielen falsch verstanden wurde, und nicht zuletzt über den „universalen Literaturverkehr“.
Er bleibt aber nicht bei der Theorie, sondern versucht konkret all seine Prinzipien in die Praxis umzusetzten, und dafür steht mit all ihren Rubriken und Artikeln, und all den verwendeten Sprachen „Acta Comparationis…“ als Beweis.
Literaturverzeichnis
- Meltzl, Hugo: „Acta Comparationis Literarum Universarum“, Klausenburg, Nr. 9/ 1877, S. 179-182
- Meltzl, Hugo: Acta Comparationis Literarum Universarum, Klausenburg, Nr. 15/ 1877, S. 307-315
- Meltzl, Hugo: Acta Comparationis Literarum Universarum, Klausenburg, Nr. 24/ 1878, S. 494-501
- Patrut, Lieselotte: „Karl Hugo Meltzl de Lomnitz“, in „Zeitschrift der Germanisten Rumäniens“, Heft 1-2 (5-6), Bucuresti 1994, S. 131-134
- Voia, Vasile: „Programul comparatist al lui Hugo Meltzl de Lomnitz“, in „Caietele Echinox“, Nr. 1, Cluj- Napoca 2001
- Voia, Vasile: „Hugo Meltzl de Lomnitz“, in „Transylvanian Review“, XI. Band, Nr. 3, 2002, S.105-110