Delia Cotârlea
Universitatea Transilvania, Braşov
delia_cotarlea@yahoo.com
Kulturpolitik zwischen 1965-1975 anhand der deutschsprachigen Zeitschrift aus Rumänien Volk und Kultur
Cultural policy and literature between 1965-1975 on the basis of the German periodical from Romania Volk und Kultur (Nation and Culture)
Abstract: The study aims to illustrate the effect of political power within the literary field between 1965-1975 as reflected in the German periodical Volk und Kultur. Next to the weekly Karpatenrundschau or to the important monthly magazine of literature Neue Literature, the periodical Volk und Kultur could not always come off the cultural policy conducted by Ceauşescu regime. Thus, by analyzing the published literary texts and translations in the periodical Volk und Kultur we aim at describing important phenomena of cultural policy during the liberalization between 1968-1971, followed by an increasing dogmatization period after July 1971.The study also provides an overview of the dynamics between cultural policy and the published literature (mainly translations of Romanian authors) in the periodical Volk und Kultur.
Keywords: Romania; Communist regime; Volk und Kultur journal; Cultural Policies; Liberalization; Censorship.
Es ist bekannt, dass die deutschsprachigen Publikationen aus Rumänien eine grundlegende Rolle in der Förderung des literarischen Schaffens gespielt haben. Denn sie ermöglichten nicht nur die Veröffentlichung von Texten rumäniendeutscher Autoren unterschiedlicher Generationen, sie versuchten zugleich an das kulturliterarische Leben aus dem Westen Europas bzw. aus den deutschsprachigen Ländern anzuknüpfen sowie die Entwicklungstendenzen in der rumänischen und ungarischen Literatur aus Rumänien im Blick zu behalten. Die „Zwitterstellung“ der rumäniendeutschen Literatur, wie Gerhardt Csejka sie Anfang der siebziger Jahre formulierte,[1] lässt sich unseres Erachtens ebenso auf die Situation der deutschsprachigen Publikationen aus Rumänien übertragen. Diese waren und sind noch heutzutage unter anderem Ausdruck des kulturellen Lebens der deutschsprachigen Minderheit in Rumänien, zugleich können sie ebenso als eine Schnittstelle mehrerer Kulturen betrachtet werden. Die deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften aus Rumänien boten und bieten immer noch einen Spiegel der kulturellen Leistung sowie der deutsch-rumänisch-ungarischen kulturliterarischen Wechselwirkungen. Folglich sind Untersuchungen einschlägiger Publikationen besonders ergiebig für die historische Rekonstruktion des kulturliterarischen Umfeldes mit Bezugnahme auf bestimmte Zeitepochen, gleichzeitig lassen Untersuchungen in dem angesprochenen Bereich ebenso Rückschlüsse auf die Dynamik der Beziehung zwischen Literatur und Politik zu.
In diesen knapp umrissenen Kontext wollen wir nun vorliegenden Beitrag einbetten. Die hier unternommene Analyse setzt sich als Ziel, einige Aspekte der Kulturpolitik zwischen 1965-1975 anhand der deutschsprachigen Zeitschrift aus Rumänien „Volk und Kultur“ aufzuzeichnen, indem die veröffentlichten Übersetzungen in dieser Zeitspanne herangezogen werden. Die Untersuchung strebt überdies eine Darstellung der Dynamik der interkulturellen Beziehungen, die sich im kulturliterarischen Umfeld durch die Auswahl der Übertragungen konkret beschreiben lässt.
Fassen wir im Vorfeld die politische und sozio-kulturelle Lage der sechziger und siebziger Jahre kurz ins Auge. Der internationale politische Kontext nach dem Zweiten Weltkrieg war für Rumänien ungünstig, die Sowjetunion übte ihren Einfluss auf Osteuropa aus, und so wurde in Rumänien der totalitäre Staat gegründet, die sowjetische Herrschaft setzte sich durch. Das hierzulande aufgenommene politische Modell, dem russischen Modell treu, setzte unmenschliche Verfahren ein, um die Bevölkerung einzuschüchtern und sich dadurch die Machtposition zu sichern. Enteignungen der Bauern, Kollektivierungen, Deportationen, Zerstörung des Glaubens durch die Einführung des wissenschaftlichen Atheismus, Zwangsarbeit, Inhaftierungen, psychischer Terror durch speziell entwickelte Erziehungsprogramme – das waren geläufige Methoden, um diejenige, die das neue politische System bzw. den Stalinismus nicht akzeptierten, zu unterdrücken.
Neben der Gewalt als eine zu der Zeit beliebte Methode, sollte auch die politisch ideologische Erziehung erwähnt werden, denn durch die Massenerziehung verfolgte die Regierung einen eindeutigen Zweck: die marxistisch-leninistische Lehre auf Massenebene zu verbreiten. Bis Anfang der 50er Jahre gelang es der Regierung, die stärksten Widerstandsbewegungen zu unterdrücken und den Weg zum totalitären Staat zu ebnen.
Erst gegen Mitte der 50er Jahre trat eine leichte Entspannungsphase ein. Die deutschsprachige Minderheit in Rumänien wurde pauschal zum politischen Mitläufertum mitgezählt, so dass sich die Angehörigen der deutschen Nationalität nach dem Zweiten Weltkrieg in einer ex-lex Situation befanden, viele von ihnen wurden nach Russland zur Zwangsarbeit deportiert. Unter dem Machtmonopol der Rumänischen Kommunistischen Partei (RKP) haben die Grenzen der Freiheit/Unfreiheit im Laufe der vier Jahrzehnte unter den sich abwechselnden diktatorischen Regimes Verschiebungen erfahren.
1955 traf Gheorghe Gheorghiu-Dej die ersten Maßnahmen zu einer Loslösung von der Moskau-Abhängigkeit. Dej erhob den Anspruch, die Gründung eines rumänischen Sozialismus einzuleiten: calea românească de construire a socialismului[2]. Stalins Tod hatte in der Kulturpolitik eine kurze Tauwetterperiode veranlasst, Gabanyi bezeichnete die Mitte der 50er Jahre als eine Phase der von oben gesteuerten Liberalität. Nach dem ungarischen Aufstand 1956 setzte erneut eine Verhärtung ein.[3]
Anfang der 60er Jahre begann sich zaghaft eine Lockerung abzuzeichnen. Gabanyi betrachtete den Zeitraum zwischen 1965-1968 als Jahre der Liberalisierung unter Ceauşescu, die im Frühjahr 1965 mit der Ernennung Nicolae Ceauşescus zum Generalsekretär der Rumänischen Kommunistischen Partei einsetzte. Die Haltung Ceauşescus der vorherigen Dej-Regierung gegenüber ließ neue Hoffnungen keimen. Ceauşescus Weigerung, 1968 rumänische Truppen gegen den Prager Frühling einzusetzen, fand im Land wie auch im westlichen Ausland allgemeine Anerkennung und großen Beifall. Doch hinter diesen politischen und kulturpolitischen Manövern begann sich der Personenkult deutlich abzuzeichnen, ein neuer politischer, auf zunehmenden Nationalismus gestützter Diskurs sollte sich herauskristallisieren.
Im Mai 1965 traf Ceauşescu mit den „Kulturschaffenden und Künstlern“ zusammen, um seine literatur- und kunstpolitischen Vorstellungen in die Wege zu leiten. Dadurch wollte er die Grenzen der Liberalisierung von Anfang an abstecken. Ceauşescu vermied zwar den Begriff „Sozialistischer Realismus“, aber Kunst und Literatur mussten eine „erzieherische“ Funktion erfüllen, eine realistische Kunst voller Optimismus und Robustheit musste geschaffen werden. Angeblich wurde eine stilistische Vielfalt innerhalb des „Sozialistischen Realismus“ akzeptiert. Auch wurden den Künstlern konkrete Themenvorschläge geliefert: „die fieberhafte Tätigkeit in den sozialistischen Betrieben, das unaufhaltsame Wachstum der Industrie des Landes, die Revolution auf dem Lande und die Vergangenheit nach 1944“.[4]
In den Jahren 1969-1971 vollzog sich in der rumänischen Kulturpolitik ein Klimawechsel. Die Zeitspanne bis zur Verkündung der berüchtigten Juli-Thesen von 1971, bis zu der sogenannten Mini-„Kulturrevolution“, war von einer Zäsur zwischen den erklärten kulturpolitischen Zielsetzungen der Partei und der literarischen Praxis geprägt. Mit der Veröffentlichung der 17 Thesen zur Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit und der kulturellen und erzieherischen Tätigkeit setzte eine neue Phase der Verhärtung im geistigen und kulturellen Leben Rumäniens ein. Wie Anneli-Ute Gabanyi in ihrer Abhandlung „Partei und Literatur in Rumänien“ vermerkte, verfolgte Ceauşescu mit seiner „Kulturrevolution“ die Sicherung der direkten Leitung des geistig-wissenschaftlichen Lebens, die totale Ideologisierung der Tätigkeiten im Bereich der Kultur und Erziehung, die totale Instrumentalisierung der Kultur, Kunst, Wissenschaft und Erziehung. Die bezweckte Einschränkung konnte jedoch nicht augenblicklich erreicht werden. Verlage, Redaktionen und Schriftsteller versuchten in der Kultur- und Literaturszene die Periode der zeitweiligen Öffnung zu verlängern, was in der Praxis auch gelang. Die zunehmende Verhärtung trat Mitte der 70er Jahre ein. Die 1977 offiziell als Institution abgeschaffte Zensur wurde durch effizientere Formen der Steuerung, Überwachung und Kontrolle der Literaturproduktion ersetzt.[5] So spricht man ab 1971 berechtigt von einer zunehmenden Verhärtung des politischen Systems bis zum Umbruch von 1989.
Richten wir nun unseren Blick auf die deutschsprachige Zeitschrift „Volk und Kultur“, um die Dynamik der Kulturpolitik anhand der in dem Zeitraum 1965-1975 veröffentlichten Übertragungen in Rumänien zu veranschaulichen.
Stellen wir im Vorfeld die Zeitschrift „Volk und Kultur“ summarisch vor. In den ersten Jahren ihrer Existenz hieß die Zeitschrift „Kultureller Wegweiser“ und erschien das erste Mal 1949 in Bukarest unter der Leitung des kommunistischen Journalisten Heinrich Simonis. Ursprünglich die deutsche Fassung der Zeitschrift „Indrumătorul cultural“, wurde 1959 der Name in „Volk und Kultur“ geändert. Zuerst dem Kulturministerium, dann dem Bildungs- und Kulturministerium und letzten Endes dem Staatskomitee für Kultur und Kunst untergeordnet, erfuhr die Zeitschrift je nach den herrschenden politischen Verhältnissen sowohl inhaltliche als auch formale Veränderungen. Ab 1964 war Franz Storch Mitglied der Redaktion, 1967 wurde er stellvertretender Chefredakteur und 1969 Chefredakteur.
Da die Zeitschrift viel Material zur Verfügung stellt, ist sie neben Publikation wie „Neuer Weg“, „Karpatenrundschau“, „Neue Banater Zeitung“ ebenso von Bedeutung in der Erstellung eines Profils des kulturellen Lebens der deutschen Minderheit im kommunistischen Rumänien. Sie bietet gemeinsam mit den anderen erwähnten deutschsprachigen Publikationen ein Spiegelbild des kulturellen Lebens, das von der Regierung offiziell gesteuert, kontrolliert und überprüft wurde. Das Motto der „Volk und Kultur“, der Monatszeitschrift des Staatskomitees für Kultur und Kunst, „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“, sagt schon vieles über das Profil der Zeitschrift aus. Sie diente der Informierung der Massen, kursierte im Bereich Massenkultur. Keine Fachliteratur wurde gedruckt, sondern eher zugängliche Texte aus verschiedenen Bereichen, die auf die Massen als Rezipienten abzielten. Die „Volk und Kultur“ stellte Persönlichkeiten der Zeit vor, bot verarbeitetes Material für die Laienbühne an. Die „Volk und Kultur“ war vom Konzept her eine Zeitschrift, die alle Leserkategorien ansprechen sollte.
Anfang des Jahres 1965 hatten sich noch keine deutlichen Rubriken herausgebildet. Jede Nummer brachte die Artikel in andere Rubriken unter. Gegen Ende des Jahres kristallisierten sich folgende Schwerpunkte heraus: Theater, Musik, Bildende Kunst. 1966 erschien die „Volk und Kultur“ mit einer neuen Struktur: Rubriken wie Analysen. Umfragen, Tribühne des Kulturaktivisten, Laienkunst, Meinungen, Konsultationen, Das Buch wurden konsequent wiederholt, auch wenn sie inhaltlich variierten. Im Jahr 1967 wurde ein neuer Schwerpunkt eingeführt: das Repertoirematerial. Eines der Anliegen der Zeitschrift war, das deutsche Laientheater zu unterstützen, und sie bot deshalb Material zu Aufführungen mit genauen Anweisungen zur Inszenierung. Jedoch vertraten die abgedruckten Theaterstücke oder Gedichtmontagen meistens die politische Richtlinie der RKP.
Wettbewerbe für die „besten“ Einakter wurden organisiert; die „besten“ Stücke wurden ausgezeichnet. „Die besten Texte“ wurden jedoch nicht nach ästhetischen Kriterien gewählt, die starre Kulturpolitik hinterließ ihre Spuren in der „Volk und Kultur“, denn mit dem höchsten Qualitätsprädikat waren meistens die der kommunistischen Ideologie entsprechenden „Schöpfungen“ versehen. Angeblich sollte dieses Verfahren die Entdeckung neuer Talente ermöglichen, in Wirklichkeit verfolgten die Texte die erklärten kulturpolitischen Zielsetzungen. Des Weiteren organisierte die Zeitschrift sogar Leserwettbewerbe: Ausschnitte aus verschiedenen Romanen wurden gedruckt, die Leser sollten den Autor und den Namen des betreffenden Romans erkennen. Dieser Wettbewerb lenkte die Aufmerksamkeit der Leser auf bestimmte Schriftsteller und Werke, viele darunter waren von der kommunistischen Ideologie geprägte Romane. Es geschah aber auch, dass rumäniendeutsche Autoren mit ihren neuesten Texten veröffentlicht wurden. Es sei jedoch hier vermerkt, dass es sich immer um Texte handelte, die nicht als problematisch von der Zensur betrachtet wurden. Sie waren zwar nicht linientreu, aber auch keine Kritik an das Regime ließ sich heraus- oder hineinlesen.
1968 machten sich die Signale der schon 1967 angefangenen kulturellen Lockerung bemerkbar. Die neue Rubrik Traditionen wollte das Weiterleben und Wiederbeleben der Bräuche der deutschen Minderheiten sichern. Nicht nur den Volksbräuchen der deutschen Minderheiten wurde eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ab 1968 förderte die „Volk und Kultur“ junge Talente der rumäniendeutschen Literatur. Eine bis mehrere Seiten wurden den DebütantInnen zur Verfügung gestellt, die jungen DichterInnen wurden kurz vorgestellt und ihre Debütverse aus literaturkritischer Perspektive beleuchtet.
Ab Mitte des Jahres 1969, mit Franz Storch als Chefredakteur, gewann die Zeitschrift an Konsequenz und Stabilität sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene. Folgende Rubriken wurden in den Jahren 1969-1975 eingeführt und beibehalten: Aktualität, Kunst, Repertoire, Traditionen, Das Buch, Forum.
In den Jahren 1965-1968 trat die Rubrik Das Buch nur selten auf und unterschied sich von derjenigen der 70er Jahre. Anfangs wurden Autoren der rumänischen Literatur und der Weltliteratur vorgestellt, Buchrezensionen waren kaum vorhanden, die einzigen Übersetzungen, meistens politische Gedichte, wurden als Repertoirematerial angeboten. In dieser Zeit veröffentlichte die Zeitschrift auch dramatische Texte, die der erzieherischen sozialistischen Auffassung von Literatur gerecht wurden. Der dogmatische Charakter der „Volk und Kultur“ in der Zeitspanne 1965-1969 ist offenkundig. Rumänische Dichtung der 50er Jahre wurde in jeder Nummer gedruckt, denn die Literatur des Proletkults war an die Lehrsätze des Marxismus-Leninismus gebunden und entsprach den politischen Richtlinien der RKP. In dem Aufsatz von Prof. Mihai Novicov „Die Literatur und ihre Rolle in der Massenkultur“ (1/1966) wurde noch einmal deutlich, welchen Druck die politische Lage auf die Literatur ausübte: Literatur spielte eine große Rolle in der Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins, und das sollte anhand der zahlreichen, „literarisch wertvollen“, in der sozialistischen Gesellschaftsordnung entstandenen Werke bewiesen werden.[6]
Erst ab 1969 wurde mehr Raum der nichtdogmatischen Literatur gewidmet. Die Rubrik Das Buch brachte in diesen Jahren monatlich Buchrezensionen der Neuerscheinungen in den Verlagen Kriterion, Dacia, Facla und Ion Creangă. Deutsche, rumäniendeutsche, rumänische Literatur und Weltliteratur wurde dem Leserpublikum präsentiert; Kinder- und Jugendliteratur wurden ebenfalls rezensiert. Der linientreue Charakter der „Volk und Kultur“ geht jedoch nicht verloren: Die Zeitschrift druckte weiterhin Aufsätze und Nachrichten aus dem politischen Leben Rumäniens. Die Festnummern 5 (Mai) und 8 (August) wurden besonders deklarativ der sozialistischen Erziehung, dem kommunistischen Kampf gegen den Faschismus gewidmet.[7]
Die Lockerungspolitik Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre widerspiegelte sich auch in der „Volk und Kultur“. Im Jahr 1971 setzte man sich in jeder Nummer mit dem Thema „Redekunst im Wandel der Zeit“ auseinander. Von der Antike bis in die Gegenwart wurde die Kunst der Rhetorik vorgestellt. Persönlichkeiten der Weltliteratur und ihr Beitrag zur Rhetorik wurden in den zwölf Beiträgen näher betrachtet. Das Jahr 1972 präsentierte die Reihe „Das Buch und der Fortschritt“. Die Entstehung des Buches, die Kunst des Buchdrucks, das Buch in der Gesellschaft waren Schwerpunkte dieser Aufsätze. Der internationale Charakter dieser Synthese-Serien zielte wahrscheinlich auf eine liberalere Thematik ab, so dass sich durch die kulturpolitische Entspannung das Phänomen interkultureller Interferenzen durchblicken ließ.
Das „Literatur-Lexikon Volk und Kultur“ sollte an dieser Stelle ebenfalls erwähnt werden. Diese Rubrik, als ein Lexikon der rumäniendeutschen Schriftsteller gedacht, ging bis ins 18. Jahrhundert zurück und stellte Persönlichkeiten aus dem literarischen und kulturellen Leben der deutschen Minderheit vor. Die Entstehung der Reihe der „Interpretationen der rumäniendeutschen Gegenwartslyrik“ könnte zum Teil ebenso auf die kulturelle Lockerung 1968-1971 zurückgeführt werden. Literaturwissenschaftliche Interpretationen von Texten jüngerer Autoren wurden veröffentlicht, das Hauptaugenmerk blieb konsequent auf die Gegenwart gerichtet.
Die hier erwähnten Aufsatzreihen zur Literatur sind nicht in die linientreue Kulturpolitik der RKP einzuordnen. Dadurch wird ersichtlich, dass die politische Entspannung Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre sogar in der etwas doktrinär orientierten „Volk und Kultur“ eine kulturelle und literarische Auffrischung bewirkte.
Kulturliterarische Interferenzen verfolgte die „Volk und Kultur“ jedoch konsequent. Es wurden Gespräche mit den Verlagen geführt, und in diesen Gesprächen wurde der kulturelle bzw. literarische Austausch zwischen der rumänischen und rumäniendeutschen Sphäre hervorhoben. Ein maßgeblicher Indikator in der Beschreibung der kulturliterarischen Interferenzen sind Übersetzungen. Im Folgenden soll der Blick auf den kulturellen Austausch in der „Volk und Kultur“ gerichtet werden, wobei wir uns mit der Übertragung hautsächlich rumänischer Literatur in die deutsche Sprache auseinandersetzen werden. In den Betrachtungen soll herausgefunden werden, inwieweit die Kulturpolitik jener Jahre den kulturliterarischen Austausch steuerte.
Wir haben insgesamt 132 „Volk und Kultur“-Zeitschriften eingesehen und Folgendes festgestellt: Es gibt bei Weitem mehr Übersetzungen aus der zeitgenössischen rumänischen Literatur als aus der rumänischen Klassik oder Moderne. Diese Feststellung lässt sich durch die Kulturpolitik jener Jahre erklären. Diese Literatur kam den politischen Richtlinien der RKP entgegen, sie wurde nicht infolge eines natürlichen Rezeptionsprozesses gedruckt. Die Kulturpolitik hatte sich diesbezüglich deutlich geäußert – die RKP beabsichtigte, eine Kultur bzw. Literatur des Volkes und für das Volk zu schaffen. Folglich wurden Autoren der linientreuen zeitgenössischen Literatur gefördert, was sich auch in den Übersetzungen bemerkbar macht. In den Jahren 1965-1969 ist proletkultistische Literatur in jeder Nummer der „Volk und Kultur“ vertreten. In der hier unternommenen Betrachtung beziehen sich die Begriffe Proletkult bzw. proletkultistische Literatur auf die rumänische Literatur der fünfziger Jahre, als thematisch das Hauptaugenmerk auf Massenerziehung bzw. auf die Erziehung der Arbeiterklasse ausgerichtet war.
In den vier Jahren, als A. Pârvu Chefredakteur war, wurden zahlreiche Übersetzungen rumänischer Autoren, die in den 50er Jahren vom Kommunismus gefördert wurden, in der „Volk und Kultur“ veröffentlicht. Die Theaterstücke und Gedichte der zeitgenössischen rumänischen Literatur, nun in der „Volk und Kultur“ in deutscher Übertragung, entsprachen der sozialistischen Ideologie – der neue Mensch in der neuen sozialen Ordnung wurde thematisiert, eine zutiefst realistische Kunst und Literatur, wie sie die Kulturpolitik der RKP forderte:
Der Mensch, der Erbauer des Sozialismus, soll sich in diesen Kunstwerken finden, er soll seine Fehler entdecken, aber auch seine edlen Eigenschaften! Wir brauchen keine Kunst, die die Realität vergoldet, aber wir brauchen auch keine Kunst, die diese Realität mit Dreck und Pech bedeckt; wir brauchen eine Kunst, die aus der Seele des Volkes spricht, die Freud und Leid der Werktätigen wiedergibt und ihre Zukunftsträume, eine Kunst, die der Wirklichkeit unserer Nation entspricht und zutiefst humanistisch ist.[8]
Allein 1965 erscheinen 29 Übersetzungen aus der proletkultistischen Literatur. Die Dichter Eugen Frunză, Alexandru Andriţoiu, Marcel Breslaşu, Alexadru Mirodan, Victor Tulbure, Mihai Beniuc wurden mehrmals gedruckt. Der linientreue Charakter lässt sich weder in der Lyrik noch der in Dramatik übersehen.
Das Jahr 1966 bringt keine Neuerungen. Die auch 1965 üblichen Literaturmontagen im Rahmen der Agitationsbrigade waren 1966 ebenso anzutreffen. Titel wie „Lob den Menschen. Lob dem Land“, „Unter dem Wappen der Republik“, „Wir danken der Partei“, „Dein Name, Partei“ bieten nur einige Beispiele. Nicolae Tăutu, Gheorghe Tomozei, Victor Tulbure, Alexandru Mirodan, Marcel Breslaşu, Mihai Beniuc, Ion Brad, Eugen Frunză sind die bekanntesten Schriftsteller der damaligen linientreuen Literatur, die von der „Volk und Kultur“ bis 1969 den anderen rumänischen Schriftstellern vorgezogen wurden. Die RKP und die Aufbaupolitik des Sozialismus, die Heimat aus sozialistischer Perspektive, der Kampf des Kommunismus gegen den Faschismus waren thematische Schwerpunkte der veröffentlichten Literatur. Paul Everac zum Beispiel war in der Zeitspanne 1965-1968 einer der beliebtesten Dramatiker der „Volk und Kultur“-Redaktion. Seine Stücke entsprachen der damaligen Kulturpolitik, so dass sie der Redaktion dienlich waren.
Nachdem Franz Storch Chefredakteur wurde, änderte sich auch das Angebot der rumänischen Literatur in der „Volk und Kultur“. 1968 sind 17 Autoren mit linientreuen Gedichten gedruckt worden, während sich im Jahre 1969 die Zahl dieser Gedichte auf drei reduzierte. Diese plötzliche Reduzierung sollte nicht nur als Verdienst von Franz Storch aufgefasst werden. Der Rückgang der doktrinären Literatur ist ebenso auf die Liberalisierungspolitik des Ceauşescu-Regimes zurückzuführen.
Hingegen stellten wir fest, dass sich das Jahr 1971 wiederum durch eine zunehmende Verhärtung kennzeichnet. Nicht nur Gedichte von Marcel Breslaşu, Demostene Botez, Eugen Frunză, George Macovescu, wurden veröffentlicht, sogar die berühmten Juli-Thesen erschienen in der „Volk und Kultur“. Die linientreue Literatur war zum dem Zeitpunkt noch nicht vorherrschend wie im Zeitraum 1965-1968. Die übersetzte Literatur erfuhr in den Jahren 1969-1973 einen Ausgleich, dadurch dass die „Volk und Kultur“ zugleich Autoren der Klassik, Moderne und Weltliteratur in gleichem Maße anbot.
In den Jahren 1974-1975 machte sich die zunehmende Verhärtung bemerkbar, die Artikel bezüglich der sozialistischen Ideologie nahmen immer mehr Raum ein. Neue Namen wurden eingeführt, alte Namen erwiesen sich der Politik der RKP als willkommen: Victor Tulbure, Mihai Beniuc, Zaharia Stancu, Alexandru Andriţoiu, Alexandru Jebeleanu, Gheorghe Ţiplea, Dan Moţoc, Gheorghe Tomozei, Dragoş Vicol, Traian Lalescu.
Die „Volk und Kultur“ Nr. 6/1975 stellte eine Anthologie rumänischer Gegenwartsdichtung vor: „Eine Welt wird geboren. Auswahl rumänischer Gegenwartsdichtung.“ (Hg. von Mihai Isbăşescu und Alexandru Al. Sahighian). 106 zeitgenössische Lyriker verschiedener Altersstufen und Generationen von Eugen Jebeleanu bis Nichita Stănescu und Ileana Mălăncioiu wurden in diese Anthologie aufgenommen. In der einschlägigen Sammlung waren auch Schriftsteller wie Lucian Blaga oder Tudor Arghezi vertreten, die zwar nicht mehr so richtig zur Gegenwartsdichtung gehörten, selbst wenn auch ihre Bücher nach 1944 publiziert worden waren. Auch Autoren der mitwohnenden Nationalitäten wurden in der Anthologie präsentiert, so dass man sich in der „Volk und Kultur“ berechtigt die Frage stellte, ob nicht der Untertitel des Bandes hätte anders formuliert werden sollen. Die „Volk und Kultur“ begrüßte diese Anthologie, was auf das Interesse der “Volk und Kultur” für kulturliterarische Interferenzen trotz kulturpolitischer Verhärtung deutete.
In der „Volk und Kultur“ Nr. 9/1975 wurde eine neue Anthologie rezensiert: „Zeitgenössische rumänische Dichtung“. Arghezi, Ion Barbu, Lucian Blaga, Nichita Stănescu, Marin Sorescu, Geo Dumitrescu, St. Augustin Doinaş und Adrian Păunescu wurden alle nebeneinander erwähnt. Es könnte verwirrend für den Leser sein, denn einige der angeführten Dichter zählten nicht gerade mehr zur Gegenwartsliteratur. Andere Namen aber hingegen wie Eugen Frunză, Victor Tulbure waren in den Rezensionen nicht vertreten. Man könnte diese Tatsache als eine Reaktion auf den erzwungenen Rezeptionsprozess der fünfziger und sechziger Jahre deuten: Die Epoche des aufgezwungenen Proletkultes war vorbei, und selbst wenn die Autoren in diese Anthologien aufgenommen wurden, so war es nicht mehr notwendig, sie konsequent ins Rampenlicht zu rücken. Dichter der rumänischen Moderne wie Ion Barbu, Tudor Arghezi, Lucian Blaga wurden neben die Gegenwartslyriker Nichita Stănescu und Marin Sorescu gestellt.
Des Weiteren wurde in der „Volk und Kultur“ ebenso eine Wiederbelebung rumänischer Persönlichkeiten angestrebt, die sich im Laufe der Geschichte zu Vor- und Leitbildern entwickelt und in der Bildung des Nationalbewusstseins eine wesentliche Rolle gespielt hatten. Das entsprach den Anforderungen auf protochronistischer und nationalistischer Linie, so dass eine bedeutende Anzahl von Texten von Schriftstellern wie Alecsandri, Caragiale, Eminescu, Slavici, Coşbuc in deutscher Übertragung gedruckt wurden.
Die Beschäftigung der „Volk und Kultur“ mit der rumänischen Literatur der Klassik in der Zeitspanne 1965-1968 erfolgte unter linientreuen Bestimmungen. Es handelte sich dabei des Öfteren um kurze Essays (in deutscher Sprache) über rumänische Klassiker als auch um konkrete Übersetzungen. In diesen Jahren wurde mehr Aufmerksamkeit Schriftstellern wie Vasile Alecsandri, Ion Creangă, George Coşbuc, Grigore Alexandrescu, Duiliu Zamfirescu, Titu Maiorescu, Nicolae Iorga, Garabet Ibrăileanu geschenkt. Ihr Leben stand im Mittelpunkt, auf ihr Werk wurde nicht näher eingegangen. Von George Coşbuc und Vasile Alecsandri wurden zusätzlich Gedichte in deutscher Übertragung zu verschiedenen Anlässen eingebaut.
Jubiläen boten außerdem die Möglichkeit, das deutsche Leserpublikum mit Texten rumänischer Klassiker vertraut zu machen. Anlässlich des 75. Todestages von Vasile Alecsandri erschienen in zwei Nummern des Jahres 1965 (Nr. 9 und Nr. 10) übersetzte Gedichte, theoretische Auseinandersetzungen mit seiner Lyrik und Nachrichten über die organisierten Festvorträge im Land. In der Nr. 7/1971 wurde Alecsandri als erster nationaler Dichter vorgestellt.
Ein weiteres ebenfalls der nationalistischen Linie entgegenkommende Beispiel ist die Ion Luca Caragiale-Biennale. Das Jahr 1965 war in der „Volk und Kultur“ von diesem Ereignis geprägt, in jeder Nummer der „Volk und Kultur“ wurden Nachrichten über den Verlauf der Biennale gedruckt.
Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Zahl der in der “Volk und Kultur” vorgestellten Klassiker der rumänischen Literatur umfangreich ausfiel. Schon die Vorläufer der rumänischen Klassik, darunter Grigore Ureche, Dimitrie Cantemir, Ienachiţă Văcărescu, Samuil Micu, wurden angeführt, wobei in den siebziger Jahren eine umfangreichere Auseinandersetzung mit der Lyrik des rumänischen Nationaldichters Mihai Eminescu erfolgte.
Versucht man einen Vergleich zwischen den Vertretern der rumänischen Klassik und der rumänischen Moderne in der „Volk und Kultur“ anzustellen, so lässt sich leicht feststellen, dass die Klassiker der rumänischen Literatur zahlreich vertreten waren, während es ein geringeres Angebot der rumänischen Moderne in der „Volk und Kultur“ gab. Die Jahre 1965-1968 hatten das Leserpublikum an die kurzen Vorstellungsaufsätze über die Autoren bzw. ihr Werk gewöhnt. Lucian Blaga, George Bacovia, Camil Petrescu wurden in dieser Rubrik vorgestellt. Jedoch erschienen selten übersetzte Gedichte: „Der Sinn des Stahls“ und „Das Vaterland“ von Nichita Stănescu, Tudor Arghezis „Die Spinne und Regen“, Lucian Blagas „Frühlingsfeuer“. Der Inhalt der Gedichte war an die politische Linie der RKP angepasst, das Einbauen dieser Primärtexte in die „Volk und Kultur“ kam der sozialistischen Ideologie entgegen, nicht aber weil diese Gedichte im Sinne einer linientreuen Haltung entstanden waren. Da sich die einschlägigen Texte durch Ambivalenz kennzeichneten, wurden sie ideologisch ausgenutzt. Denn die Literatur der Moderne war den Zielsetzungen der sozialistischen Kultur mit Sicherheit nicht willkommen, dadurch lässt sich auch die geringe Anzahl der rumänischen Schriftsteller der Moderne in der „Volk und Kultur“ begründen.
Ab 1970 erscheinen überraschenderweise zahlreiche Rezensionen zu den deutschen Ausgaben einiger rumänischer Werke. In den Verlagen Kriterion oder Ion Creangă nahm die Zahl der herausgegebenen übersetzten Autoren der rumänischen Moderne zu, darunter erwähnen wir Vasile Voiculescu, Camil Petrescu, Lucian Blaga, Marin Preda, Marin Sorescu, Tudor Arghezi.
Obwohl die Auswahl der rumänischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts in der „Volk und Kultur“ eher als gering im Vergleich zur rumänischen Klassik oder zur zeitgenössischen politischen Literatur einzustufen ist, lassen die veröffentlichten Texte und ausgewählten Autoren Rückschlüsse auf die Kulturpolitik zu.
Die hier unternommene Untersuchung beabsichtigte, die Steuerung des Kulturaustausches in der Zeitschrift „Volk und Kultur“ (1956-1975) hervorzuheben. Denn nach der Durchsicht der 132 „Volk und Kultur“-Hefte wird offenkundig, dass der politische Kontext maßgeblich Einfluss auf das kulturliterarische Leben nahm. Die Steuerungspolitik der Regierung hatte Zensur, Selbstzensur sowie Förderung einer linientreuen Literatur zur Folge. Die zeitgenössischen „Proletkultisten“ wurden in der “Volk und Kultur” bevorzugt, die rumänische Klassik bzw. Moderne wurde oft aus der politischen Perspektive beleuchtet. Dass im Übrigen Beiträge angeboten wurden, die sich von der kulturpolitischen Doktrin der RKP losgelöst hatten, sollte gleichwohl erwähnt werden. Jedoch dominierte in der „Volk und Kultur“ die linientreue Literatur.
Durch ihre Tätigkeit hat aber die “Volk und Kultur” dennoch den Kultur- bzw. Literaturaustausch gefördert, die positiven Aspekte der Interferenzen dürfen nicht übersehen werden. Abschließend soll erneut daran erinnert werden, dass die „Volk und Kultur“ keine Zeitschrift für Literatur war, sondern eine Monatsschrift für Massenkultur. Ihre festgestellte Linientreue darf keinesfalls ohne weiteres auf andere deutschsprachige Publikationen jener Jahre übertragen werden.
Literaturverzeichnis
Bărbulescu, Mihai, Dennis Deletant u.a.: Istoria României. Bucureşti: Editura Enciclopedica 1998.
Gabanyi, Anneli-Ute: Partei und Literatur seit 1945. München 1975.
Solms, Wilhelm (Hg.): Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Marburg 1990.
Totok, William: Literatur und Personenkult in Rumänien. In: Nachruf auf die rumäniendeutsche Literatur. Hg. von Wilhelm Solms. Marburg 1990, S. 93-120.
Anmerkungen
[1] Siehe dazu Csejka, Gerhardt: Bedingtheiten der rumäniendeutschen Literatur. Versuch einer soziologisch-historischen Deutung. In: NL 8/1973, S. 25-27.
[3] Gabanyi, Anneli-Ute veröffentlichte 1975 die Studie „Partei und Literatur seit 1945“, in der sie die Kulturpolitik Rumäniens von 1945 bis 1975 untersucht und diese auf die Tauwetter-Eiszeit-Zyklen der jeweiligen kommunistischen bzw. sozialistischen Regime bezieht.