Sanda Ignat
Unedierte Rumänische Volkslieder aus Siebenbürgen in der Acta Comparationis Litterarum Universarum
(“Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte“)
0. Die rumänische Folklore in der „ACTA COMPARATIONIS“
Im dritten Erscheinungsjahr begann die Meltzl’sche Zeitschrift Volkslieder der siebenbürgischen Rumänen zu veröffentlichen. In der Rubrik SYMMIKTA erschienen seit Januar 1879 bis Dezember 1886, mit Unterbrechungen (1883 wird die rumänische Folklore nicht behandelt), 20 Inedita samt deutschen und ungarischen Übersetzungen (eine einzige englische Übersetzung ist vorhanden). Daneben auch die Verdeutschung einer von Vasile Alecsandri 1852 in der Moldau veröffentlichten Ballade über die Hochzeit von Sonne und Mond (ohne Unterschrift des Übersetzers) und dazu ein theoretischer Artikel in ungarischer Sprache von Dr. Grigorie Silaşi, dem Professor für Rumänische Sprache und Literatur an der Universität Klausenburg.
Unter dem Titel Wort und sprache in der rumaenischen folklore erschienen 15 verdeutschte Sprichwörter aus der Sammlung von Dr. Zacharias Vizóly[1].
Was die rumänische Folklore betrifft, muss hier auch der in französischer Sprache veröffentlichte Aufsatz der Herzogin Helene Koltzoff-Massalski, geb. Ghika, Pseudonym Dora d’Istria erwähnt werden, einer Rumänin aus der Wallachei, die in Italien und Paris lebte (siehe Anhang).
1. Ideologischer Hintergrund
In der Überzeugung, jede Nation sei nur ein Fragment, was eben als Motto in einem französisch (später lateinisch) wiedergegebenen Zitat von Schiller auf dem Titelblatt zu lesen war1, bevorzugte Meltzl und seine Mitarbeiter die Volksdichtung. Die vergleichende Stellungnahme verlieh ihren Bemühungen einen wertorientierten wissenschaftlichen Hintergrund. Im „Jahrhundert der Nationen“ gab das „polyglotte organ“ ein Muster offenen und freien wissenschaftlichen Denkens, interkulturellen Denkens avant la lettre. Eine Notiz, die 1879 auf dem Titelblatt hinzugefügt und später mit zusätzlichen Erklärungen ergänzt wurde, wies auf die schon in der ersten Nummer dargestellten programmatischen Prinzipien der vergleichenden Literaturforschung hin :
„ … Im rein-literarischen verkehr der ACLV sind alle sprachen der welt gleichberechtigt.
Jeder mitarbeiter wolle sich in der regel bloss seiner muttersprache sich bedienen.“
(In rumänischer Sprache sind zwar nur wenige Beiträge veröffentlicht worden : die 20 Inedita, ein Hymnus des lateinischen Volksstammes von Vasile Alecsandri (bei Meltzl heißt er: Alecsandrei!) und die Übersetzung von Lessings Ringparabel aus seinem „Nathan der Weise“ die Petre Dulfu, damals Student in Klausenburg, ins Rumänische übertragen hatte. Die rumänischen Mitarbeiter Dora d’Istria und Grigorie Silaşi bedienten sich der französischen bzw. der ungarischen Sprache.)
Diese für die damalige Zeit fortschrittliche geistige Haltung gründete sich Ideen der Romantik. Die romantische Suche nach dem echten Völkstümlichen in der Folklore wurde fortgesetzt, weil man annahm, dass das Kulturgut eines jeden Volkes von universalem Wert sei. So wurde in dieser Zeitschrift die Volksdichtung nicht mehr als etwas Exotisches angesehen, sondern aus einer vergleichenden Perspektive betrachtet, die in der Übersetzung und Motivforschung verwendet werden konnte.
In der Rubrik SYMMIKTA standen einander magyarische und kleinrussische Volkslieder, Volkslieder der transsilvanischen Zigeuner und Rumäner nebeneinander, was im politischen Leben der damaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie nicht immer der Fall war. Um so größer ist also das Verdienst der Zeitschrift. Als Rumänen verdanken wir dieser Initiative viel, denn die Sammler und Übersetzer der 20 Inedita waren außer Silaşi keine Rumänen, sondern Sachsen, Ungarn oder anderer ethnischer Abstammung, die wahrscheinlich in Siebenbürgen aufgewachsen und der rumänischen Sprache mächtig waren.
2. Die 20 unedierten Volkslieder. Gesamtdarstellung
Bis auf zwei Ausnahmen (Muresiu, Muresiu, apa lata! – Gerecze Peter und Colo jos la Prunduri-rele – Oskar Mailand, s. Anhang) handelt es sich um Liebeslieder, die vom zärtlichen verklärten oder dem schmerzhaften Ausdruck, bis hin zur kurzen trivialen Pointe oder der von Meltzl selbst genannten „flucherotik“ (s. Nr.4 / Feb.1879, S.68) das ganze Register des Themas darbieten.
Die meisten sind Kurzgedichte, Vier-, Fünf- bis Zehnzeiler. Die schriftliche Wiedergabe der rumänischen Sprache erfolgt mittels der zur Zeit gültigen rumänischen Rechtschreibung (erst 1867 hatte die Rumänische Akademie in Bukarest die kiryllischen Buchstaben abgeschafft), die sich nach der etymologischen Norm richtete: Die typisch rumänischen Laute wurden nicht durch selbständige schriftliche Zeichen wiedergegeben, sondern folgen der Schreibweise des lateinischen Stammwortes. Und zwar [ă] wurde durch a und e, [î] durch a oder i und [ş],[ţ] durch si, bzw. ti symbolisiert. Die Diphthonge [ea] und [oa] wurden als betontes é (séra, céra) und ó (tóta, mórte, nópte) geschrieben. Das heutige z einfach als d. Für den heutigen rumänischen Leser bereitet diese Ortographie oft Schwierigkeiten.
Ein einziges Mal wurde in der „Acta Comparationis“ eine sinnvollere, angepasstere ortographische Regelung verwendet, u. zw. 1881 in einem längeren Lied aus dem Banat, Păltinasiulu, gesammelt und verdeutscht von Ludwig Vinzenz Fischer :
„Păltinaş cu frundziă lată
Si cu umbriţa rotată
Lasămĕ la umbra tá
Puçinel cu mândra mea !“ etc.
Wir wissen nicht, ob diese Art zu schreiben, die dem rumänischen Ausdruck viel näher steht (ă und ĕ stehen für [ă], â erscheint als neues schrifliches Zeichen, d und ç als Versuche, die schwer einzuordnen [z] und [ţ] zu schreiben) aus der Intuition des Sammlers entstammt, oder ob sie der Bukarester Rechtschreibung folgt, die damals auf der Suche nach einem passenden schriftlichen Ausdruck war und gerade 1880-1881 die bislang rein etymologische lateinische Orthographie mit phonetischen Regeln verbesserte2.
Die erste Reihe von 7 unedierten rumänischen Volksliedern wurde von Heinrich von Wlislocki gesammelt und verdeutscht, ein Kronstädter Sachse, der neben Deutsch auch Rumänisch und sogar Zigeunerisch konnte, denn er hat Volkslieder in den beiden Sprachen in der Gegend von Klausenburg notiert. Wlislocki war Professor an der Fakultät für Sprachen und Geschichte „Franz Josef“-Universität in Klausenburg. Sein Name erscheint – zwar spärlich und mit einer falschen Orthographie – neben den Namen von Brassai, Meltzl, Oskar Mailand, Gerecze Peter, Silaşi und Petre Dulfu in einem der vielen Verwaltungs- und Buchhandlungsregister der Universität, die noch im Klausenburger Staatsarchiv bewahrt werden[2] (s. Reg.121, Fond Univ. Maghiară „Ferenc Jozsef“, Arhivele Statului Cluj-Napoca).
Unter dem Titel Volkslieder der transsilvan. Rumänen (Kolozsvárer Dialekt) erschienen 1879 die ersten zwei Gedichte (Nr.1/Jan., Vol.I, S.17-18). Im Folgenden gebe ich eine Übersicht über das erste und seine Übersetzung und werde sie aus der Sicht der Übersetzungstheorie analysieren.
3. Kurze Analyse der Übersetzungskunst am Rande eines Beispiels
Codrulu cându io l’am trecutu,
Fost’au mundru sî ’nfrundîtu;
Cându ’napoi am inturnatu,
Fost’au galbinu sî uscatu !
Codrule, frundia rotunda !
Slobodi-mi unu picu de umbra :
La umbra se me umbrescu,
Cu mundr’a se me veselescu.
Jüngst ich ging den wald entlang ,
War er maigrün, voll von sang ;
Streif ich jetzt den wald umher,-
Liegt er dürr und töneleer.
Wald, o wald, du hoher wald,
Spende kühlen schatten bald,
Dass ich ruh, im weichen moos,
Und vielliebchen mir im schoss.
(Ich habe die Schreibweise der zwei Gedichteso widergegeben, wie sie in der Zeitschrift erschienen sind, aber in meiner Analyse werde ich sie aktualisieren.)
Ich möchte als erstes auf die Freiheit der Übersetzung aufmerksam machen. Auf den ersten Blick muss man die Natürlicheit der deutschen Version bewundern. Der Übersetzer erhebt sich wesentlich über die wörtliche Übersetzung und schafft ein ganz neues Gedicht, das als solches seinen Wert hat. Nur sicherlich, „Traduttore traditore“ : Eine nähere Analyse wird uns folglich die Stärken und Schwächen von Wlislockis Übersetzung zeigen.
Die erste Strophe des rumänischen Originals bildet einen semantischen und syntaktischen Parallelismus : Die zwei Temporalsätze (Zeile 1 und 3), die mit dem Adverb când beginnen, werden symmetrisch mit den Hauptsätzen (Zeile 2 und 4) ergänzt. Das analytische Perfekt gibt allen vier Sätzen einen prägnanten endgültigen Charakter und die Inversion des Partizips mit dem Hilfsverb im Hauptsatz, die typisch für das alte und dialektale Rumänisch ist, bekommt einen besonderen poetischen Reiz.
Die Erststellung des Subjekts codrul führt zu seiner Isolierung und Hervorhebung, denn somit bricht der temporale Nebensatz die natürliche Reihenfolge des Hauptsatzes. Codrul gehört als Subjekt zu den beiden Hauptsätzen. Während die Nebensätze über die zwei gegensätzlichen Bewegungen der menschlichen Person berichten, beschreiben die Hauptsätze die zwei Zustände des nur einmal genannten Waldes durch prädikative Attribute.
Wlislockis Bemühung, in seiner Übersetzung die Symmetrie nachzuahmen, ist sichtbar, trotzdem folgt er dem rumänischen Original nicht bedingungslos. Das Ergebnis ist eine natürlich klingende deutsche Strophe. Er verzichtet auf das relative Adverb când = als :
(„Codrul când io l-am trecut“ = Als ich den Wald entlang ging,…
„Când ’napoi am înturnat“ = Als ich zurück kam,…)
und baut die Symmetrie mit deutschen sprachlichen Mitteln. Die Prägnanz des rumänischen Perfekts wird durch die kurzen einsilbigen deutschen Präteritumformen wiedergegeben :
„ich ging“ / „War er“
„Stref ich“ / „Liegt er“.
Während die rumänischen Temporalsätze wegen des semantisch leeren relativen Adverbs când unbestimmt bleiben, fügt der Übersetzer genaue zeitliche Hinweise hinzu, so dass der Parallelismus in der deutschen Variante nicht mehr auf der Semantik der Verben (am trecut / am înturnat), sondern auf der reinen adverbialen Opposition beruht (jüngst / jetzt).
Die Unbestimmtheit der Zeit schafft im rumänischen Gedicht eine Spannung zwischen dem Nebensatz und dem Hauptsatz, weil der Nebensatz eine Ergänzung fordert. Diese Spannung, die mit der Endstellung des Verbs im Nebensatz noch betonter wird, wird durch zwei Adjektivserien („mândru şi-nfrunzit“ / „galbin şi uscat“) erklärt und aufgelöst. Obwohl die Verben a trece und a (se) înturna den Weg und der Rückweg bezeichnen, weisen die Adjektive auf eine längere Zeitperiode zwischen den zwei Bewegungen hin : „mândru şi-nfrunzit“ suggeriert den Frühling und „galbin şi uscat“ den Herbst. Gerade hier ist der Punkt, wo das rumänische Original wertvoller ist, denn die absichtliche Täuschung ‚Weg’/ ‚Rückweg’ für eine subjektive Zeitwahrnehmung des lyrischen Ich spricht, so dass die Versen einen ernsten nachdenklichen Charakter bekommen. Der Weg und der Rückweg bleiben irgendwo auf die Zeitachse des Lebens eingestellt.
Hingegen vermindern die präzisen Zeitangaben (maigrün, jetzt) sowie das wache Präsens der Wahrnehmung in der deutschen Übertragung („jetzt… liegt er dürr“ statt des vagen rumänischen „fost’au“) dieses breite, grenzenlose und fast tragische Gefühl. Außerdem beinhaltet die deutsche Strophe keine entsprechenden Hinweise über einen gezielten Weg und Rückweg. Die Bewegungen durch den Wald verlaufen hier wie eine Art Spaziergang. In der rumänischen Volksdichtung ist der Wald oft der Ort, wo sich die Geliebten im Geheimen treffen. Aber der rumänische anonyme Dichter war natürlich ein Bauer und im Wald war er meist unterwegs zur Arbeit. Seine Wege durch den Wald hatten kaum ästhetische Gründe. Der deutsche Übersetzer fühlt aber diese Nuance nicht und projiziert in dieser Strophe das romantische Bild des Dichters, der durch den Wald spaziert, um sich einen wahren ästhetischen Genuss zu verschaffen : er „ging den wald entlang“, er „streif[t] den Wald umher“. Das Verb herumstreifen (bummeln, taumeln) spricht für sich in dieser Hinsicht.
Die Nebensätze verlieren in der deutschen Variante ihren untergeordneten sowie den spannenden Charakter (denn die Bewegungen werden explizit ausdrücklich bestimmt), und spielen die Sarabande der erstgestellten Prädikate mit pronominalem Paar als Subjekt, beides einsilbig, Prädikat betont – Subjekt unbetont : „ich ging“ / „war er“ / „streif ich“ / „liegt er“ (In der ersten Zeile erfolgt eine Topikumstellung: das Verb steht aus prosodischen Gründen an der dritten Stelle.) Der tänzelnde Charakter wird auch in der Metrik sichtbar und er widerspricht einem tragischen Gefühl :
Codrul când io l-am trecut
x́ – xxx́ │ xxx́
Fost-au mândru şi-nfrunzit
x́x – x́x │ xxx́
Când ’napoi am înturnat
xxx́ │ x – xxx́
Fost-au galbin şi uscat
x́x – x́x │ xxx́
Jüngst ich ging den Wald entlang
x́x – x́x – x́x – x́x – x́
War er maigrün, voll von Sang
x́x – x́x – x́x – x́x – x́
Streif ich jetzt den Wald umher
x́x – x́x – x́x – x́x – x́
Liegt er dürr und töneleer
x́x – x́x – x́x – x́x – x́́
Während die rumänische Strophe Unregelmäßigkeiten und eine freiere Komposition aufweist, ist in der deutschen Variante eine perfekte rhythmische Struktur zu bemerken. Der Übersetzer war sicherlich ein Ausgebildeter, der höchstwahrscheinlich theoretische Kenntnisse über den Vers- und Strophenbau besaß.
Das rumänische Original besteht im Grunde genommen aus Anapästen (x́xx), deren Dreiertakt in den beiden Hauptsätzen symmetrisch durch zwei Paare von Trochäen unterbrochen wird. Der erste Vers beginnt mit einem unbeendeten selbständigen akzenttragenden Versfuß, was aber keineswegs als eine Unvollkommenheit der Rhythmik angesehen werden darf. Im Gegenteil bildet er auf diese Weise eine anschauliche Entsprechng der Vorstellung und betont gleichfalls den zu beschreibenden Gegenstand, nämlich codrul. Der anapästische Rhythmus erklärt sich durch das Vorhandensein von zwei dreisilbigen Wörtern mit anapästischer Struktur : înfrunzít, înturnát. In der deutschen Strophe sind die meisten Wörter einsilbig, was den Zweiertakt erklärt. Die beiden Varianten enden in männlicher, also stumpfer Kadenz, denn der Versschluß aller Zeilen ist betont.
Die Musikalität, die der deutsche Übersetzer in der Form des Gedichtes so konsequent verfolgt hat, führt ihn auch dazu, dem Wald selbst solche Eigenschaften ausdrücklich zuzuschreiben, er überträgt auf das Bild seine eigene Auffassung über den Wald und erweitert somit die Angaben des Originals. Das ausschließlich auf visuellen Epitheta beruhende Bild des Waldes („mândru şi-nfrunzit“, „galbin şi uscat“) wird zum Teil zu einem klingenden umgeändert („voll von Sang“, „doneleer“).
In der rumänischen Volksdichtung erscheint das Motiv des Waldes oft mit der Meditation über das Vorbeirennen der Zeit verbunden. Mal wird der Wald wegen seiner jährlichen Wiederbelebung beneidet (vgl. dazu das klassische von Eminescu verarbeitete Beispiel Codrule, codruţule) und somit eine traurige und resignierte Schlussfolgerung über die endgültige Richtung des menschlichen Lebens gezogen, mal wird sein herbstliches Aussehen zum Hintergrund eines pessimistischen seelischen Zustandes. In unserem hier dargestellten Beispiel verwandelt sich aber der ernste Eindruck der ersten Strophe in eine unerwartete Pointe. Es entsteht ein Dialog mit dem Wald und dieser wird mit du angeredet, wie ein guter Freund, der das Geheimnis der Liebe verbirgt. Er wird mit einer Metonymie umschrieben, „frunză rotundă“, einem zusätzlichen Hinweis auf die Laubwälder des hügeligen Klausenburger Gebietes. Der Mann bietet den Wald um Schatten, der die Umarmung der liebenden decken kann.
Das Umwandlungsvermögen Wlislockis ist überraschend. Er wagt es auch diesmal, vom Originaltext abzuweichen und seine eigene Vorstellung in der Übertragung durchzusetzen. Jedoch muss er dafür wieder einige Bilder und Nuancen opfern. Den rumänischen Vokativ gibt Wlislocki durch einen vielleicht zu pathetischen Ausruf wieder : „Wald, o Wald, du hoher Wald“. Er verzichtet auf die charakterisierende Apposition („frunză rotundă“), die er allerdings in ein Präpositionalobjekt hätte umwandeln können – „Wald, o Wald mit rundem Blatt“ – , und zieht eine steigernde Wiederholung vor, damit er einen perfekten Reim erzielt :
wald / bald. Dadurch kommt noch einmal sein Streben nach einer perfekten Form ans Licht, das wohl nur ein gebildeter Dichter verfolgen mag, das aber bei Wlislocki eine fast ausschließliche Beschäftigung ist. Es geht ihm viel zu sehr um die Form. Dies beweisen nicht nur die vier Paarreime seines Achtzeilers (entlang / Sang ; umher / töneleer ; Wald / bald ; Moos / Schoß), sondern auch die Metrik, die auch in der zweiten Strophe tadellos ist, während die rumänische einen stärkeren mündlichen Charakter aufweist (es handelt sich eigentlich um einen Dialog):
Codrule, frunză rotundă !
x́xx – x́xx – x́x
Slobozi-mi un pic de umbră
x́xx – xx́x – x́x
La umbră să mă umbresc
xx́x │ xxxx́
Cu mândra să mă veselesc
xx́x │ xxxxx́
Wald, o Wald, du hoher Wald,
x́x – x́x – x́x – x́
Spende kühlen Schatten bald,
x́x – x́x – x́x – x́
Dass ich ruh im weichen Moos
xx │ x́x – x́x – x́
Und Vielliebchen mir im Schoß.
xx │ x́x – x́x – x́
Die rumänische Strophe variiert den Rhytmus, der Reim ist manchmal unvollkommen (rotundă / umbră), dem Dichter geht es eher um den Inhalt und schätzt die form nur annähernd, aber er zeigt Spontaneität und einen besonderen Sinn für natürliche rhythmische Entsprechungen. Seine Sätze atmen in breiten und fließenden rhythmischen Bewegungen. Die zwei Zeilen im Imperativ wechseln die Anapästen in Amphyibrachen und die gedehnten Modulationen der Bitte auf Dreiertakt enden klingend mit der weiblichen Kadenz der zwei Trochäen.
Wlislocki bleibt indessen eng in seinem steifen metrischen Schema eingeschränkt und muss mit lexikalischen Mitteln ausdrücken, was im rumänischen Lied einfach durch die rhythmische Variation hervorgehoben wird. Die still klagende Bitte wird deshalb hier zu einem stärkeren Imperativ, der sich aus der dreifachen Wiederholung und dem „ungeduldigen“ Adverb bald zusammenstellt. Das Verb spenden, obwohl es die dialektale Konnotation des rumänischen a slobozi (‚herausziehen’) nicht wiedergeben kann, betont die Bitte des Mannes. Die letzten zwei Zeilen des rumänischen Gedichtes kommen auf die männliche Kadenz zurück, diesmal aber bilden sie den Versausgang aus 4 bzw. 5 rhythmische Einheiten mit anapästischer Struktur. Es ist natürlich schwer für Wlislocki, das alliterierende Wortspiel im dritten Vers zu übersetzen : „la umbră să mă umbresc“- eine nur teilweise Wiederholung, wo die reflexive Verwendung des Verbs a umbri sehr unerwartet und besonders klingt. Er versucht aber den Sinn zu übertragen. „Im weichen Moos“ drückt dieselbe innerliche Zufriedenheit der Ruhe auf dieselbe explizite Weise Wlislockis aus.
Die Pointe im rumänischen Gedicht beruht auf der plötzlichen Erwähnung der Geliebte, die die obige Bitte aus einer neuen Perspektive erklärt. A se veseli (‚froh werden’) bekommt in diesem Kontext eine etwas leichtsinnige Bedeutung, aber bleibt trotzdem zurückhaltend und undurchsichtig. Wlislocki verliert diese Nuance, indem er die Wirkung des rumänischen Verbs steigern will („Und Vielliebchen mir im Schoβ“).
Zusammenfassend kann ich folgendes bemerken: Wlislocki, der gebildete Dichter, glaubt die Schlichtheit des volkstümlichen Stils durch einfache Formen wiedergeben zu können, und verpasst deshalb oft die Besonnenheit und Bedenklichkeit des Originals. Sein Gedicht mündet manchmal in künstlerische Mittelmäßigkeit. Das Verdienst seiner Übersetzung ist aber, dass sie keine Untertänigkeit dem rumänischen Muster gegenüber zeigt, und frei das rumänische Gedicht wieder – schafft.
4. Schluss
Wegen Zeit- und Raummangel muss ich meine Demonstration auf dieses einzige Beispiel beschränken, aber der Leser kann sich eine Vorstellung von den anderen in der Acta Comparationis veröffentlichten rumänischen Volksliedern machen, indem er sich die Titelliste im Anhang anschaut.
Hoffentlich war diese einzige Interpretation trotzdem überzeugend. Inwieweit aber auch Interpretore traditore, werden Sie selbst – der Leser überhaupt – entscheiden.
[1] Zacharias Vizóly lebte in Páncsova (Banat). Von ihm kennt man die Publikation:
Germán elemek a magyarban (Nyelv tanulmány). Déva : Hirsch 1880, 50 S.
[2] Siehe Reg.121, Fond Univ. Maghiară „Ferenc Jozsef“, Arhivele Statului Cluj-Napoca).
1 “C’est un ideal pauvre, un ideal peau élévé, de n’écrire que pour une seule nation : quant à l’ésprit philosophique, il lui repugne de respecter de pareilles bornes. Il ne saurait faire halte prés d’un fragment – et la nation, même la plus importante, est-elle plus qu’un fragment?…” Schiller
2 Vgl. Ironim MARŢIAN: Grigorie Silaşi, Petre Dulfu şi Vasile Alecsandri. In: File risipite, Napoca Star, Cluj-Napoca 2001.
LITERATURVERZEICHNIS
– Metzler Literaturlexikon, 2. A, J. Metzler, Stuttgart 1990.
– MOSER, Dietz–Rüdiger: Metrik, Sprachbehandlung und Strophenbau, in BREDNICH, Rolf W.; RÖHRICH, Lutz ; SUPPAN,Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Volksliedes, Bd.2, Wilhelm Fink Verlag München 1975.
– PETRAŞ, Irina: Metrică şi prozodie. Mic dicţionar-antologie pentru elevi, Ed. Demiurg Bucureşti 1995.
Anhang
RUMÄNISCHE VOLKSLIEDER, ÜBERSETZUNGEN, THEORETISCHE ARTIKEL
ÜBER DIE RUMÄNISCHE FOLKLORE IN DER MELTZL’SCHEN ZEITSCHRIFT
– Titelliste –
- 1879, Vol. I, Nr. 1/Jan, S. 17-18
VOLKSLIEDER DER TRANSILV. RUMÄNEN. (Kolozsvárer Dialekt.) (Inedita.)
II. Floricica de pre ritu
[ nebst Verdeutschungen]
H. v. Wlislocki
- 1879, Vol. I, Nr. 3/15. Feb.; S. 49-50, idem
III. Ajunga-te, mandra, ajunga[+ Verdeutschung]
H. v. Wlislocki
- 1879, Vol. I, Nr. 5/15. März.; S. 81-82, idem
IV. FRUNDEA verde de rachita
V. CE siedi mandra la ferésta
[+Verdeutschungen von H. v. Wlislocki – ohne Unterschrift]
[+Anmerkung über das rumänische Wort bade von Prof. Szilaşi; ergänzt mit einer anderen, vermutlich von H. v. Wlislocki]
- 1880, Vol. III, Nr. 6/März, S. 86-87, idem
VI. HAIDA lele dupa mine
VII. Randunica mitutica
[+Verdeutschungen]- H.v. Wlislocki, Koloszvár
- 1880, Vol. III, Nr. 7-8/April
(-S. 116: In der Rubrik Kurze inländische Revue berichtet vermutlich Meltzl über zwei Sammlungen von rumänischen Gedichten, die 1858 von ÁCS KÁROLY in Pest veröffentlicht wurden.)
-S. 118/119: ROUMANIAN VOLKSSONG FROM TRANSYLVANIA
I ROAMED of late the woods along’
Henry Phillips Dr. (Philadelphia)
- 1881, Vol. VI, Nr. 1-2/Juni, S. 28-30
ERDÉLY RUMÄN NÉPDALAK A CZIBLES HEGY TÖVÉBŐL.
GERECZE PÉTER gyüjteményéből. – Inedita.-
Tu mandr’a mea demultu
Cine n’are doru pe lunca
Me dusei la prundulu secu
Muresiu, Muresiu, apa lata!
Bade, anima de pétra!
- 1881, Vol. VI, Nr. 3-4/Sept., S. 52-54
PĂLTINASIULU. Rumänisches volkslied, aus dem Banat. – Ineditum.
[+Verdeutschung unter dem Titel :] Des Mädchens Fluch
L.V. Fischer, Erlau bei Passau
- 1881, Vol. VI., Nr. 5-6/Sept., S. 59-62
ZWEI ALT – RUMÄNISCHE ROMANZEN. […] samt Interlinearversion
SIEBENBÜRGISCH-RUMÄNISCHE VOLKSLIEDER AUS DEM HUNYADER COMITAT–Inedita Mitgeteilt von Oskar Mailand
Colo jos la Prunduri-rele
Audîi o veste’ in sat
[+ eine Erklärung des mytologischen Themas u. Analyse der Form]
- 1882, Vol.VII, Nr. 1/15 Jan; S. 14-15
RUMÄN NÉPDALAK A CZIBLES HAGY TÖVÉBŐL. (Rumänische volkslieder. Inedita aus dem nord-osten Siebenbürgens; samt magyarischer interlinearversion)
Mei badica de departe !
GERECZE P. Pécs
[+Verdeutschung ohne Unterschrift des Autors]
- 1882, Vol. VII, Nr. 2/31 Jan., S. 29-30, idem
Porumbitia, porumbitia
[+magy. Interversion] GERECZE., Pécs
[+Verdeutscheung ohne Autor]
- 1882, Vol. VII, Nr. 9-10/15-31 Mai, S. 150-151
ALTRUMÄNISCHE ROMANZEN AUS DEM HUNYADER COMITAT IN SIEBENBÜRGEN
[=Verdeutschung der zwei im 1881 (Nr. 56/Sept) von O. Mailand veröffentlichten Romanzen, ohne Unterschrift des Übersetzers, vermutlich H. v. Meltzl]
- 1884, Vol. XI, Nr. 5-8/März-April, S. 67-70, 73-74, 77-78, 81-82, 85
Nr. 9-10/Mai, S. 117-118, 121-122
DANSES ET CHANSONS NATIONALES DES ROUMAINS. Essay
Dora d’Istria, Firenze
[Koltzoff-Massalsky Helén herzegnő, geboren Prinzessin Ghica]
- 1884, Vol. XI, Nr. 9-10/15-31 Mai, S.158
ROMÁN NÉPDALAK BANATBOL.-Inedita-
Frundia verde narba mole
Sa traesti cu bine
[+ magyarische Übersetzung (MAGYAR HŰ FORDITÁS),
ohne Unterschrift des Übersetzers, vermutlich DR. BRÉAN]
- 1884, Vol. XII, Nr. 1-4/15 Jun.-30 Sept., S. 64
RUMÄNISCHES VOLKSLIED DEM BANAT
[Verdeutschung des Liedes Sa traesti cu bine, ohne Unterschrift des Übersetzers]
- 1885, Vol. XIII, Nr. 3-5/Feb.-März, S. 78-79
WORT UND SPRACHE IN DER RUMAENISCHEN FOLKLORE.
AUS Dr. Z. VIZÓLY’S RUMAENISCHEN SPRICHWÖRTEN (Pancsova 1884)
[in deutscher Sprache]
- 1886, Vol. I, Nr. 11-14/Jun.- Sept., S. 115-119
DIE HOCHZEIT VON SONNE UND MOND
[rumänische Volksballada nach V. Alecsandri’s Edition; Verdeutschung ohne Unterschrift]
- 1886, Vol. I. Nr. 15-20/Okt.-Dez.
– S. 148-149: ILIANA KOSINTZANA – Artikel in ungarischer Sprache von Dr. SILAŞI Gergely
– S.150-151: UNEDIERTE VOLKSLIEDER DER TRANSILVANISCHEN RUMÄNEN. (Bistritzer dialekt) – M-a fecut mama fitshor
[Verdeutscht und mit einer Anmerkung versehen ;
ohne Unterschrift, vermutlich G. Silaşi]