Petru Forna
Martin Luther im Rumänischen. Überlegungen angesichts der Praxis der Übersetzung
In den letzten Jahrzehnten sind sehr viele theoretische Arbeiten in Zusammenhang mit der Übersetzungstheorie erschienen. Persönlichkeiten der Philologiesparte schreiben darüber nicht nur sachkundig, sondern auch interessant. Man erfährt aus diesen BüchernDinge, an die man nie gedacht hatte. Einen einzigen Fehler haben alle diese Darstellungen: sie geben keinerlei praktische Hinweise dafür, wie man übersetzen müßte. Es gibt Arbeiten, die zwei (oder mehrere) Übersetzungen desselben Textes vergleichen, wobei eine Variante höher eingeschätzt wird als die andere(n). Die Gründe dafür erscheinen logisch, wissenschaftlich, und sie können überzeugen. Aber wie man praktisch übersetzen müßte, wird einem nicht mitgeteilt. Was vorliegt, ist nicht schwer zu beurteilen, wenn man Kentnisse im betreffenden Fachbereich hat. Meinem bescheidenen Wissen nach ist kein Theoretiker der Übersetzungstheorie selbst Übersetzer, und keiner schlägt eine optimale Übersetzungsvariante vor. Deswegen heißt es auch in Martin Luthers berühmten „Sendbrief vom Dolmetschen“(1530):
„Was Dolmetschen fur Kunst und Ärbeit sei, das hab ich wohl erfahren, darum will ich keinen Papstesel noch Maulesel, die nichts versucht haben,hierin zum Richter oder Tadeler leiden. Wer mein Dolmetschen nicht will, der laß es anstehen. Der Teufel danke ihm, wer`s ungerne hat oder ohn meinen Willen und Wissen meistert. Soll`s gemeistert werden, so will ich selber tun. Wo ich`s selber nicht tu, da lasse man mir mein Dolmetschen mit Frieden und mache ein iglicher, was er will, fur sich selbs und habe ihm ein gut Jahr.“ [1]
Man fragt sich, nicht zum ersten Mal, ob Philologie Kunst oder Wissenschaft sei. Wäre es andererseits aber möglich, dass z.B. ein Handbuch der Chirurgie erschiene, ohne daß der Autor ein praktizierender Chirurg wäre und aus seiner eigener Erfahrung die jeweiligen Maßnahmen und Eingriffe beschriebe? Keinesfalls. Eben deshalb ist Philologie etwas Besonderes, ein Bereich, in dem man mit Hilfe der Sprache über die Sprache spricht. Und vielleicht hatte Luther recht, wenn er über Interpretationen und Auslegungen schrieb:
„Darum ist das auch ein toll Fürnehmen, daß man die Schrift hat wöllen lernen durch der Väter Auslegen und viel Bücher und Glossen Lesen. Mann sollt sich dafur auf die Sprachen geben. Denn die lieben Väter, weil sie ohn Sprachen gewesen sind, haben sie zuweilen mit vielen Worten an einem Spruch geärbeitet und dennoch nür kaum hinnach geohmet und halbe geraten, halb gefeilet. So läufest du demselben nach viel baß solichen raten, denn der, dem du folgst. Denn wie die Sonne gegen den Schatten ist, so ist die Sprache gegen aller Väter Glossen. Weil denn nu den Christen gebührt, die Heiligen Schrift zu uben als ihr eigen einiges buch, und ein Sunde und Schande ist, daß wir unser eigen Buch nicht wissen noch unsers Gottes Wort und Sprach nicht kennen, so ist`s noch viel mehr Sunde und Schaden, daß wir nicht Sprachen lehren, sonderlich, so uns itzt Gott darbeut und gibt Leute und Bücher und allerlei, was dazu dienet, und uns gleich dazu reizt und sein Buch gern wollt offen haben. Oh, wie froh sollten die lieben Väter gewesen sein, wenn sie hätten so kunnt zur Heilign Schrift kommen und die Sprachen lehren, als wir künnten. Wie haben sie mit großer Mühe und Fleiß kaum die Brocken erlanget, da wir mit halber, ja schier ohn alle Ärbeit das ganze Brot gewinnen künnten.“[2]
Heute hat man im Bereich der Übersetzungswissenschaft praktisch „das ganze Brot“. Die Frage ist, ob diejenigen, die übersetzen, über diese Kenntnisse verfügen und sie auch praktisch anwenden. Leider muß man skeptisch sein, denn die meisten Übersetzer haben auch heute keine Ahnung von dieser quasi neuen Wissenschaft. Und diejenigen, die darüber schreiben, übersetzen nicht.
Im folgenden möchte ich ein paar Gedanken erörtern, die mir im Laufe der Übersetzung einiger Werke von Martin Luther wichtig waren.
Erstens geht es um das Problem der Person (Persönlichkeit) Luthers. Martin Luther ist bei den Rumänen – mit Ausnahme der Neuprotestanten – so gut wie unbekannt. Bei einem entsprechenden Informationsstand weiß man natürlich, daß er der Initiator der Reformation war, obwohl auch hier die Begriffe irreführend sein können. Reformation ist nicht Protestantismus, und Luther war Protestant. In den meisten Literaturgeschichten findet man bloß den Titel: „Die deutsche Literatur zur Zeit der Reformation“. Die Unterschiede sind uninteressant und für Nichttheologen nicht maßgeblich.
Worin aber das Wesen der Reformation bestand und besteht, wissen die meisten Rumänen nichts. Eine vage und relativ konfuse Information, und zwar daß Luther (mit Erfolg) gegen das Papstum kämpfte, was bei einem Volk, das – mit Ausnahme der Unierten und der Neuprotestanten – orthodox ist, nur Zustimmung finden konnte. Würden sie aber die 95 Thesen kennen, wäre es für sie nicht vorstellbar, dass ein so bescheidender Autor und ein dem Papst gegenüber so unterwürfiger Text eine so große Wende in der Geschichte der Menschheit eingeleitet hat. Denn diese Thesen waren bloß der Ausgangspunkt und noch nicht einmal der Anfang. Was Luther später schrieb definiert das Wesen des Protestantismus.
Manche wissen auch, daß Luther den aufständischen Bauern gegenüber eine nicht gerade freundliche Haltung einnahm. Man hat in manchen rumänischen Schulen nach 1945 darüber ziemlich ausführlich gesprochen, und die Schüler glaubten, dass sei nichts anderes als kommunistische Propaganda, denn ein Mönch und Pfaffe mußte „vernichtet“ werden, auch wenn er gegen den Papst gekämpft hatte. Wenn sie Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern lesen, würden sie eine schon damals andere Meinung vertreten haben. Und schließlich gibt es auch welche, die annehmen, dass Martin Luther und Martin Luther King ein und dieselbe Person sind.
Immerhin: Martin Luther erscheint auch im Rumänischen. Wie er aufgenommen wird, hängt von der Einstellung, vom Interesse und vom Wohlwollen eines jeden einzelnen ab.
Zweitens stellt sich die Frage nach einem Verlag. Martin Luther erscheint zum ersten Mal im Rumänischen beim Logos-Verlag, der das schöne Motto verficht: „. . . cuvinte pentru Cuvânt“. Es ist ein Verlag, der fast ausschließlich neuprotestantische Texte – hauptsächlich Übersetzungen aus dem (Amerikanisch) Englischen – veröffentlicht, jedenfalls nach wissenschaftlichen und graphischen Kriterien, die anspruchsvollsten Erwartungen genügen. Dennoch dient der Verlag einer quantitativ kleinen Zielgruppe innerhalb der rumänischen Gesellschaft. Wenn schon so viele Arbeiten anderer Schriftsteller in bekannteren Verlagen – auch mit religiösen Zielsetzung – erscheinen, wäre es nicht vielleicht besser gewesen, daß diese auch Luthers Werke veröffentlichen? Zum Glück ist die Leitung des Logos-Verlags so intellektuell und wissenschaftlich engagiert, dass sie nicht allein diejenigen Texte veröffentlicht, die ihr zusagen, sondern auch solche, die überhaupt nichts mit Theologie zu tun haben. Im Gegenteil. Aber Logos will seine Leser erziehen, damit sie selbst den Autor und die Texte beurteilen können, und das sollte (neben den finanziellen Interessen) das Hauptanliegen eines Verlages sein. Deswegen werden die ersten beiden Bände von Luthers Werken folgende Texte (die nicht ohne weiteres dem [Neu]protestantismus dienen) beinhalten:
Fünfundneuzig Thesen oder Sprüche. . .
Ein Sermon vom ehelichen Stand
Vorlesung über den Römerbrief
Vorlesung über den Galaterbrief
Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche
Ein Sendbrief an den Papst Leo X.
Von der Freiheit eines Christenmenschen
An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung
WiderHans Worst
Sendbrief vom Dolmetschen
Etliche Fabeln
An die Ratsherrn aller deutscher Städte
Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern
Daß Jesus ein geborener Jude sei
An drei Klosterjungfrauen
Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein könnten
Ein Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi
Von den guten Werken
Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauerschaft in Schwaben.
Es gibt noch ein anderes Problem im Zusammenhang mit dem erwähnten Verlag. Und das ist dasjenige der Überlieferung. Der Übersetzer steht – unserer Meinung nach – nicht ein für den Text, den er zu übersetzen hat. Der Verlag ist dafür verantwortlich. Bei Luther ist die Sache so kompliziert, daß man beinahe verzweifeln könnte. Im Falle des revidierten Drucks des Neuen Testaments (1976) schrieb eine Persönlichkeit von Format eines Walter Jens: „Mord an Luther. Das Neue Testament in revidierter Fassung“. Schlagzeilen: „Im besten Willen haben sich Theologen und Philologen an einem Hauptbuch deutscher Sprache vergangen. Unentschieden und halbherzig produzierten sie ein Kauderwelsch aus Bürokraten-Deutsch, gelehrtem Papier-Geraschel und Resten von Luthers bildesatter rhythmischer Prosa“.[3] Manche Texte, die uns zur Verfügung gestellt wurden, sind erstklassig: kritische Ausgaben, mit vielen Anmerkungen und ständig die editio princeps verwendend (mit Kommentaren). Bei anderen ist schon eine Überarbeitung erfolgt, mit theologischer und philologischer Zielsetzung. Und eben diese Änderungen bereiten dem Übersetzer die größten Schwierigkeiten. Denn man ist darauf vorbereitet, einen Text aus dem 16. Jahrhundert zu übersetzen, nicht aber eine neuere Fassung, in welcher der Originaltext Luthers verschlimmbessert wurde. Die revidierten Texte von Luther bereiten dem Übersetzer nur Schwierigkeiten, die nur mit Mühe zu überwinden sind. Sagt (schreibt, übersetzt) Luther nämlich im September-Testament 1522:
„Es ist aber der glawbe, eyn gewisse zuvorsicht des, das zu hoffen ist und richtet sich nach dem, das nicht scheinet.“,
so erscheint diese Stelle in der revidierten Ausgabe von 1976 wie folgt:
„Der Glaube ist eine feste Zuvorsicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“
Übersetzt man nach dem Originaltext, so würde die Übersetzung (ungefähr)so lauten:
„Dar credinţa este o felurită luare aminte în a nădăjdui, şi se îndreaptă spre ceea ce nu se vede.”
Übersetzt man nach der revidierten Ausgabe, so würde die Übersetzung (ungefähr) lauten:
„Credinţa este o încredere sigură în ceea ce speri, şi o neîndoială în ceea ce nu vezi.”
Welche Variante ist besser? Der Ausgangstext bestimmt die Übersetzung, die sich nach ihm richten muss. Ist der Ausgangstext nicht einheitlich, kann auch die Übersetzung nicht konsequent und einheitlich sein. Denn die Übersetzung ist sowieso nur der Versuch, etwas Echtes wiederzugeben und nachzugestalten. Sie versucht den Eindruck zu erwecken, daß die Pastische, d.h. die Übersetzung, echt ist. Aber was geschieht, wenn das Original (der Ausgangstext) selbst eine Pastische ist? Die Übersetzung einiger Werke Luthers ins Rumänische wird und kann nicht einheitlich sein, denn die Texte, die uns zur Verfügung gestellt wurden, waren sehr unterschiedlich. Manche waren tatsächlich eine treue Wiedergabe des Originaltextes von Luther, erstklassig kommentiert, andere waren revidierte Texte, die wegen theologischer und philologischer Vorgaben abgeändert worden waren. Bei den theologisch revidierten Texten läßt man das weg, was aus theologischer Sicht uninteressant ist und kaum zu überzeugend klingen vermag. Auch dasjenige, das in Zusammenhang mit der Politik der Zeit steht, als die Textbearbeitung stattfand. Bei den philologisch revidierten Texten versucht man, das strikt Theologische zurückzudrängen oder wegzulassen. Hinzu kommt: Luther war auch in der ehemaligen DDR ein Vorzeigeautor. Man versuchte dort immer wieder, ihn im Sinne der kommunistischen Ideologie „umzufunktionieren“, zumal Engels geschrieben hatte, dass „Eyn feste Burg ist unser Gott“ die Marseillese des Mittelalters war. Liest man Fachliteratur aus der ehemaligen DDR, ist man geschockt, dass der Protestantismus als „fortschrittlich“ empfunden wurde, der Katholizismus aber als „reaktionär“ eingestuft wurde und zwar entgegen der These, dass jede Religion Opium für das Volk sei. Man äußerte nach Jahrhunderten weiterhin die Meinung, derzufolge der Protestantismus besser wäre, da er die Missstände in der altkatholischen Kirche kritisch beurteilte. Dabei vergaß man, dass der Protestantismus sehr schnell intoleranter wurde als der Katholizismus. Das ist zwar Geschichte, leider aber auch ein Stück zeitgenössischer Geschichte.
Drittens wäre die Frage nach der Zielsprache zu klären. Wie übersetzt man im 21. Jahrhundert Luther ins Rumänische? In eine archaisierende Sprache? In die zeitgenössische rumänische Sprache? Luther hat absichtlich so formuliert, wie wir das von ihm kennen (wahrscheinlich hat er nicht so gesprochen). Die Sprache, die er am besten beherrschte, war zweifelsohne das Latein. Diejenigen, denen heute noch das Lateinische eine lebendige Sprache ist, können lesen, feststellen und empfinden, wie elegant und erhaben Luthers Latein ist. Sein Deutsch ist wunderbar, es steht ungefähr in der Mitte des Wegs hin zum Neuhochdeutschen. Es ist eine deutsche Sprache, die damals nicht gesprochen wurde, die aber (fast) jeder verstehen konnte. Luther hat genial das begriffen, das er in der hinlänglich bekannten Stelle seines „Sendbrief(s) vom Dolmetschen“ schreibt:
„. . .denn man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprachen fragen, wie man soll deutsch reden, wie deise Esel tun, sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drumb fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihn` redet.“[4]
Dennoch ist seine Sprache keine „natürliche“ (keine gesprochene) Sprache, sondern ein Versuch, aus vielen deutschen Mundarten eine relativ einheitliche Sprache zu erschaffen. Und das mit Erfolg. Deswegen geht die einhellige Meinung davon aus, dass Luther der Begründer des Neuhochdeutschen ist. Die Sprache, die er bei der Übersetzung der Bibel gebrauchte, verwendete er auch in seinen Schriften. Eine gerade schöne und keineswegs vornehme Sprache, wie es beispielsweise sein Latein war, aber eine für den „gemeinen Mann auf dem Markt“ verständliche Sprache. Das Ziel ist klar: man muß verstehen, was er sagt – ohne irgendwelche Missdeutungen .
Wie übersetzt man aber Luthers Sprache ins Rumänische? Ich glaube so, dass „der gemeine Mann das versteht, was man sagt.“ Also nie und nimmer eine rumänische Sprache, die heute auf Grund ihrer Antiquiertheit kaum zu verstehen wäre; allerdings sollte das Flair des Altertümlichen irgendwo doch vorhanden sein, bloß verständlich muss alles sein. Das ist, meiner Meinung nach, die Sprache der Bibel. Seit eh und je und heute ebenso. Verständlich, aber ein wenig veraltet, mit Ewigkeitsanspruch und nicht immer eindeutig genug. Man versteht, und man versteht auch nicht.
Es gibt zum Glück einen rumänischen Text aus dem Jahre 1521 – aus derselben Epoche, in der Luther schrieb -, „Scrisoarea lui Neacşu“, in welchem ein Rumänisch verwendet wird, das sich vom heutigen Rumänische kaum unterscheidet. Das war auch ein Grund, in der Übersetzung eine „normale“ rumänische Sprache zu gebrauchen mit der Absicht, den Beigeschmack biblischer und lutherischer Texte zu bewahren. Auch darin besteht glaube ich, die Kreativität des Übersetzers. Ein Beispiel: in einem (revidierten) Text von Luther (Vorlesung über den Römerbrief 3, 10) steht:
„Das kommt daher, daß wir uns nur selten so tief erforschen, daß wir diese Schwäche des Willens, ja Pest erkennen.“
Heute würde wohl jeder erfahrene Übersetzer (aus dem Deutschen ins Rumänische), wenn er nicht wüßte, daß der Text von Martin Luther stammt, ihn folgendermassen wiedergeben:
“Iar aceasta se întâmplă din cauză că noi doar arareori ne examinăm atât de profund conştiinţa, încât să observăm această slăbiciune a voinţei, ba chiar ciumă.”
Dennoch scheint mir, bei aller Bescheidenheit, dass folgende Variante, Luthers Text besser entspricht:
„Iar aceasta se petrece din pricină că noi doar arareori ne cercetăm atât de adânc cugetul, încât să băgăm de seamă această slăbiciune a vrerii, ba chiar ciumă.”
Manche Wörter sind unstreitig etwas veraltet, dennoch sind sie jedem verständlich, und sie verleihen der rumänischen Variante einen Anflug der „gewaltigen“ Sprache Luthers.
In diesem Zusammenhang muß noch über die Uneinheitlichkeit der rumänischen Bibelübersetzungen gesprochen werden. Der Verlag Logos machte zur Bedingung (die Gründen sind in unserem Zusammenhang ohne Belang), dass Tausende Bibelzitate, die Luther verwendete, der Bibelübersetzung von Cornilescu entnommen werden müssen, obwohl ich selbst der Ansicht bin, die Übersetzung von Gala Galaction sei viel besser, viel „poetischer und lyrischer“. Der Römerbrief des Heiligen Paulus beruht auf den Begrif “Rechtfertigung“. Was geschieht, wenn Persönlichkeiten wie Galaction und Cornilescu das Wort jeweils anders deuten? Einer als „îndreptăţire” und der andere als „neprihănire”. Manchmal ist die erste Fassung adäquater, manchmal die zweite. Ist in diesem Falle –wenn man nämlich eine Variante benutzt, danach die andere – von der Kreativität im Übersetungsprozeß die Rede? Schwer zu sagen.
Auch ist die Schreibweise mancher Namen und Ortschaften des Alten und Neuen Testaments im Deutschen und Rumänischen derart unterschiedlich, dass man beinahe den Eindruck hat, es handelt sich nicht um dieselbe Sache. Ganz zu schweigen davon, dass Luther gelegentlich aus einer Stelle zwei macht, oder aus zwei eine usw. Oder daß er das ausläßt, was ihm nicht passt, oder (manchmal) hinzufügt, was ihm mehr zusagt.
Viertens gibt es die Einstellung Luthers zur Übersetzung. Er hat darüber Wunderbares, nicht nur in seinem „Sendbrief vom Dolmetschen” gesagt, sondern auch an anderen Stellen. Eine einmalige Theorie der Übersetzung, die aber leider sehr wenig bekannt ist. Praktisch ist er anders verfahren als andere. (Beinahe) kein Satz lautetet bei Luher so wie im Hebräischen, Griechischen (das Neue Testament in der Septuaginta) oder Lateinischen (Vulgata). Durch Luther wurde die Bibel ein Erbauungsbuch. Mit Recht, denn das ist auch ihre Aufgabe. Und wenn „der gemeine Mann auf dem Markt. . .” versteht, worum es geht, dann hat der Übersetzer seine Aufgabe mehr als erfüllt. Auch deswegen heißt das Grundbuch des deutschen Lese- und Schriebweise Fibel (Kindersprache: Bibel = Fibel).
Zuletzt wäre noch auf meine persönliche Einstellung zu Luther einzugehen. Er ist der Begründer des Protestantismus. Ich bin (griechisch)-katholischer Konfession. Die sogenannten guten Übersetzer sind, wie eine sehr bekannte Übersetzerin feststellte, „verhinderte Dichter”. Dem stimme ich zu, aber leider ist daran nichts mehr zu ändern. Zwischen dem Übersetzer und dem Autor besteht – normalerweise – ein Verhältnis, wie unter Zwillingen „Ich hätte es auch so gesagt, wenn ich es nur gekonnt hätte. . .” So ging es auchmir bei Böll oder Dürrenmatt, bei Walther von der Vogelweide, Christoph Hein oder Wilhelm König. Bei Martin Luther verhält sich das ganz anders. Ich liebe und hasse ihn. Eine Haßliebe aus un- und aus durchaus erklärlichen Gründen.
Martin Luther, eine einmalige Persönlichkeit, ein Genie, wird nach beinahe fünf hundert Jahren auch in rumänischen Leserkreise kommen. Ich hätte seine Schriften besser ins Rumänische übersetzen müssen. Aber wie es schon Luther selbst ausdrückte: derjenige, der glaubt, daß er es besser machen könne, der mache es!
Auswahlbibliographie
Die literarische Übersetzung als Medium der Fremderfahrung. Hrsg. von Fred Lönker. Berlin: Schmidt 1992.
Die literarische Übersetzung. Fallstudien zu ihrer Kulturgeschichte. Hrsg. von Brigitte Schultze. Mit einer Einleitung von Armin Paul Frank. Berlin: Schmidt 1987.
Die literarische Übersetzung. Stand und Perspektiven ihrer Erforschung. Hrsg. von Harald Kittel. Mit einer Einleitung von Armin Paul Frank. Berlin: Schmidt 1988.
Hammer/Henschelmann: De la grammaire á la traduction. Einführung in die deutsch-französische Übersetzung. München: Hueber 1983.
Katharina Reiß: Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungskritik, München: Hueber 1986.
Katharina Reiß/Hans J. Vermeer: Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie, Tübingen: Niemeyer 1984.
Wolfram Wilss: Kognition und Übersetzen. Zu Theorie und Praxis der menschlichen und der maschinellen Übersetzung. Tübingen: Niemeyer 1988.
Anmerkungen
[1] “Sendbrief vom Dolmetschen”, in „HUTTEN. MÜNTZER. LUTHER. Werke in zwei Bänden, Berlin und Weimar: Aufbau 1978, Bd. 2, S. 273.