Delia Magdalena Leca
Eminescu in deutschen und italienischen Übersetzungen
Die Symmetrie im Poem „Der Abendstern“
Warum wurde Eminescu so wenig, wenn gar nicht, in der europäischen Kultur aufgenommen? Ist die Rezeption seiner Werke von der Qualität der Übersetzungen beeinflusst worden? Ist die Übertragung besser und leichter in einer romanischen oder in einer germanischen Sprache zu realisieren? Diese Fragen standen vor dem Beginn der Arbeit an diesem Referat. Zoltán Franyó und Günther Deicke haben für die deutschen Versionen gesorgt und von den italienischen haben wir die Autoren/Übersetzer Rosa Del Conte und Mario de Michele-Dragoş Vrînceanu gewählt.
Die vorliegende Analyse ist von der These der relativen Übersetzbarkeit, vertreten durch Theoretiker wie Nida, Kade, Levy, Koller u. a. ausgegangen, die behaupten, dass jede sprachliche Aussage, auch wenn es einen strukturellen Unterschied der jeweiligen Idiome gibt, übersetzbar ist. Anderseits sind wir uns bewusst, dass es eine vollständige Konservierung/ Beibehaltung der konnotativen Werte, schwer wenn nicht gar unmöglich ist, so dass der Versuch gemacht wurde, die am nächst liegende Äquivalenz bezüglich der poetischen Idee und des “poetischen Zustandes” zu identifizieren.
Ein guter Übersetzer sollte, unserer Meinung nach, um sich an dem Original zu nähern, ein guter Exeget sein, mit einem besonderen Sinn für Poesie, obwohl die Rezeption jedwedes Kunstwerkes immer genügende Anteile an Subjektivismus mit einbezieht.
Die Dekodierung der linguistischen Aussage, des “poetischen Zeichens”, sollte in einer Zone stattfinden, die sich den Absichten des Dichters so weit wie möglich nähert, auch dann, wenn der betreffende Übersetzer den Text durch Mithilfe einer Interpretation wiedergibt. Obwohl wir die besten Übertragungen von Eminescus bekanntesten Exegeten ausgewählt haben, sind leider in den untersuchten Texten beträchtliche Verluste festgestellt worden, und diese wurden nur in einzelnen Fällen, durch unterschiedliche Mittel, teilweise überbrückt.
In den einzelnen Übertragungen sind objektive Gründe, z. B. das unmögliche Zutreffen einer perfekten Äquivalenz des betreffenden Lexems, aufgrund der Begrenztheit der Zielsprachen, ebenso durch subjektive Gründe, die z. B. vom Übersetzer und seiner Begabung abhängen, zu unterscheiden. Die Bemühungen der Übersetzer sind oft mit Schwierigkeiten verbunden, sind verantwortungsvoll, weil die Qualität der Übertragung die Rezeption des Dichters in den beiden Kulturen, in der deutschen und italienischen, deutlich beeinflusst.
Andererseits gibt es formale und semantische Kriterien, die dem Text eine gewisse Bedeutung hinzufügen, welche von den Übersetzern unverständlicherweise übersehen worden war, und die zu einer abweichenden Rezeption führen können. Ein solches Kriterium wäre die Symmetrie der Konstruktionen von Eminescu, und es sind damit diejenigen Syntagmen und Lexeme gemeint, die sich im Rahmen eines bestimmten Poems oder eines einzigen Verses sinnstiftend wiederholen.
Obwohl in zahlreichen Fällen das Beibehalten der Symmetrie des Originals problemlos vonstatten gehen könnte, ist in fast allen untersuchten Gedichten feststellbar, dass diese Symmetrie gemieden wird, gleichgültig ob es sich um deutsche oder italienische Übersetzer handelt. Das Gleichsetzen unterschiedlicher poetischer Zeichen führt aber auch zu einer anderen Deutungen/Interpretationen der Verse und verfälscht auch die philosophischen Absichten der Dichtung.
In dem Poem „Der Abendstern“ gibt es eine Gegenüberstellung der Namen: einerseits Hyperion, als mythologische Interpretation, aber ebenso metaphorisch (der Bedeutung nach) hiper-eon der, der sich über alle erhebt, demnach ein Hinweis auf die Identität des überlegenen Menschen, des Genies, andererseits gibt es den „Luceafăr“ – Abendstern. Der Name Hyperion fixiert durch den Singular eine einzige Dimension der Identität des Wesens in dieser Erscheinungsform – die Zugehörigkeit zum Ewigen[1]. Demzufolge ist der Abendstern Hyperion nur für den Demiurgen.
Bei Eminescu ist der Wechsel Abendstern – Hyperion nicht zufällig; der Stern ist bis zum Ende des Poems, aus der Perspektive des Mädchens gesehen, immer nur der Abendstern. Wenn auch das Mädchen ihn Hyperion nennt, verliert der Wechsel die Originalbedeutung und das Originalgewicht. Änderungen der Symmetrie des Originals sind auch im Refrain festzustellen: Cobori în jos Luceafăr blând/ Alunecând pe-o rază/ Pătrunde-n casă şi în gând/ Şi viaţa-mi luminează. Außer Michele-Vrînceanu haben alle Übersetzer mehrere Änderungen vorgenommen, entweder durch eine besondere Aneinanderreihung der Wörter oder durch Einfügen von zusätzlichen Elementen.
Franyó ersetzt Abendstern durch mein Stern, eine Formulierung die dieselbe Familiarität wie mein Lieber zum Ausdruck bringt[2]. Das Einfügen des Possessivpronomens mein in Strukturen, die den Abendstern definieren, verändert die philosophischen Bedeutung des Poems. Im Original wird ein gewisser Abstand zwischen dem Mädchen und dem Abendstern suggeriert. Aus der Perspektive des Mädchens wird er ihr und ihrer Welt aber nie angehören: Mein Stern, du sollst als milder Schein/ Zu mir herniederschweben/ O dring ins Haus, ins Herz mir ein/ Erleuchte du mein Leben.
Zu einer Interpretationsänderung führt auch das Ersetzen der Struktur în gând, ein Symbol für das Wesen des Wesens, durch ins Herz, mit erotischer Konnotation, in diesem Kontext unzulässig und nicht besonders suggestiv.
Die Wiederholung der Aufforderung des Mädchens enthält eine sinntragende Änderung: ihre sinnliche Entfaltung im Laufe des Poems wird angedeutet – am Anfang strebt sie nach dem Licht des Abendsterns, verweilt aber letztlich in den Grenzen ihrer eigenen Welt. Die Verwendung des Substantivs noroc anstatt viaţă kennzeichnet den zufälligen Charakter des Glücks in der großen weiten Welt[3]:
Cobori în jos Luceafăr blând/ Alunecând pe-o rază/ Pătrunde-n codru şi în gând/ Norocu-mi luminează.
Bei Franyó werden auch die ersten zwei Verse, unerklärlicherweise, modifiziert: O gleite her als milder Schein/Auf zarter Strahlenholde, und es gibt leider kein Appellativum mehr, nicht einmal das umstrittene mein Stern. Auch in der Struktur der nächsten zwei Verse werden mehrere Wörter verändert im Vergleich zum Original, was zu einer unterschiedlichen Dekodierung führt: Dring durch den Wald ins Herz mir ein/ Mein großes Glück vergolode.
Günther Deicke ist bei der Wahl der Äquivalenzen konsequenter,aber auch bei ihm stört das Duzen und das Possessivum mein: Steig nieder, du im Abendhauch/ Mein Abendstern, steig nieder,/Mach hell mein Haus, mein Denken auch,/Mein Leben immer wieder!
In der philosophischen Ebene des Poems spielt die Anredeform eine entscheidende Rolle. Hyperion gehört zu einer anderen Welt, auch wenn das Mädchen ihn als Abendstern herbei ruft, und seine Hauptkennzeichen sind die Einziggartigkeit und die Einsamkeit, weil das Kommunizieren, ebenso wie die Liebe, den Beginn des Todes bedeuten können.
Dass der Abendstern aus einer anderen Welt heruntersteigt, beweist er bei jedem Stelldichein; er ist nicht nur ein Ewiger sondern auch ein wichtiger Teil der Ewigkeit. Die Distanz zwischen den beiden ist so groß und unüberwindbar, dass sie ihn nie duzen kann.
Der zweite Refrain enthält bei Deicke nur die Modifizierungen, die von Eminescu stammen: Steig nieder, du im Abendhauch,/ Mein Abendstern, steig nieder,/ Mach hell den Wald, mein Denken auch,/ Mein Glück mir immer wieder.
Die italienischen Übersetzungen tragen unterschiedliche Titel: L’astro, mit allgemeiner Bedeutung für Stern bei Michele–Vrînceanu und Espero-Hyperione, mit der Bedeutung Abendstern-Hyperion, in der Übertragung von Rosa Del Conte. Die italienische Übersetzerin fügt beliebig, gerade so wie Franyó beide Formen Iperione und astro (ohne weitere Determinierung und mit viel zu allgemeiner Bedeutung) ein. Sie behält aber ein Äquivalent für gând – pensiero, auch wenn dies nur im ersten Refrain auftritt.
Discendi a me, astro soave,/ lungo il filo d´un raggio,/ di te ricolma pensiero e casa/ e mia vita rischiara!
Ungünstig wirkt sich die Substituierung des Wortes noroc, mit einer festen Bedeutung in der Struktur des Poems, durch gioia (Freude) aus.
Bei Mario de Michele und Dragoş Vrînceanu sind mehrere Abweichungen vom Original feststellbar. Gänzlich ungeeignet ist die Besonderheit des Abendsternes als carrezzevole; auch wenn hier ein Superlativ steht, ist es nicht die gleiche Konnotation, die das rumänische blând aufweist. In dieser Version wird gând mit anima gleichgesetzt, und noroc mit sorte, was ebenfalls nicht mit dem Original übereinstimmt.
In allen Varianten, vielleicht etwas weniger in den italienischen Versionen, ist eine Inkonsequenz bei der Erstellung von Äquivalenz zu beobachten. Das für ein bestimmtes “poetisches Zeichen” gefundene Äquivalent sollte, zumindest im gleichen Gedicht, zugunsten der Symmetrie beibehalten werden:
aprinde, cât de viu s-aprinde, wie strahlt hell sein Glanz…(floss sein Gefunkel) (F); wie lebendig er erglüht (D); di qual vivo fulgor s’accende (C); risorge come vivido splende (M-V).
aprinde, s-ar aprinde (soare), erglühen (F); erstehen (D); accende (C); accende (M-V).
aprinde, se aprindea mai tare, hell entsprühten (seine Funkel) (F); entflammt (im Sternenreigen) (D); piu ardente sfavillando (C); piu vivo s’accende (M-V).
copilă, ein Kind (F); ein Kind, ein Mädchen nur (D); bambina (C); bambina (M-V).
copilă, Kind (F); ***(D); bella (C); fanciulla (M-V):
copila, sie (F); sie (D); elle (C); la fanciulla (M-V).
copilaş, der Knabe (F); den Jungen (D); ***(C); il giovane (M-V).
rază, raze reci, kalter Strahl (F); kalten Strahlen (D); freddi raggi (C); gelidi raggi (M-V).
rază, razele-i senine, klarer strahlte (F); hellen Schimmer (D); raggi rereni (C); raggi (M-V).
raza, raza ochiului senin, ***(F); ***(D); dolce raggio del occhio sereno (C); la luce dei occhi sereni (M-V).
răsări, răsare şi străluce, gleitet (F); aufgehn und drüben gleiten (D);lo vede sorgere e…rifulgere (C); sorge e risplende (M-V).
răsări, a răsări, ***(F); aufzugehen (D); al nascere (C); nato (M-V).
răsări, răsar în urmă valuri, entsteigen (F); entstehen (D); sale (C); insorgano (M-V).
răsări, să răsai (pe-a mele ceruri), glänzen (F); erglänzen (D); levarti (C). splenda (M-V):
răsări, răsai (c-o întreagă lume ) entstanden (F); drang dein Licht (D); erompi (C); ti levi (M-V).
răsări, răsare (luna), es steigt (F); läßt seinen Schein rinnen (D); spunta (C); sorge (M-V).
Es gibt aber auch Situationen, in denen unterschiedliche Lexeme identisch übersetzt werden. Bei Zoltan Franyó gibt es fünf Umschreibungen für das Wort Lust, manchmal als zusätzliches Element: Voll Lust, für deine Lust empfänglich, dass wir uns ansehen voller Lust, von Lust beschwingt, unendlich süße Lust.
Dieses Wort mit seiner vielfältigen Bedeutung erhält in einem bestimmten Kontext auch erotische Konnotationen. (Voller) Lust kommt an einer einzigen Stelle als Äquivalent der Originalfügung nesăţios vor: Să ne privim nesăţios/ şi dulce toată viaţa. In allen anderen wird es als zusätzliches Element eingefügt und hat als Folge eine tiefgreifende Änderung des ursprünglichen poetischen Zustandes zur Folge, z. B.
Und liegt im Bette sie, voll Lust/ Zur Ruh entspannt die Glieder ( Şi când în pat se-ntinde drept/ Copila să se culce),
Wie soll ich niederschweben wie/ Für deine Lust empfänglich (Dar cum ai vrea să mă cobor/ au nu-nţelegi tu oare),
Ich lieb ihn stets, von Lust beschwingt ( În veci îl voi iubi şi-n veci /Va rămânea departe)
Und die unendlich süße Lust/ aus deinen Augen trinken ( Sub raza ochiului senin/ Şi negrăit de dulce).
Weil wir aber mit einem optimistischeren Ton schließen wollen, geben wir ein Beispiel für eine gelungene Symmetrie, die in den Übertragungen gestaltet wurde. Im Aufbau der Dichtung wird der Gegenüberstellung des Personalspronomens ich – du zu Beginn und sie – wir im späteren Verlauf, eine entscheidende Rolle zugestanden. Der Übergang wird durch eine eigenartige Abstimmung realisiert, die in den analysierten Übertragungen ausgezeichnet wiedergegeben ist:
– ich-du/dich (der Abendstern- das Mädchen): Ich bin der Abendstern, und du/ Sollst meine Braut nun werden und Ich der als Abendstern erglomm/ Will dich als Braut umfassen;
– du-sie (der Abendstern – das Mädchen/die Leute/die irdische Welt): Du wünschest dich als Mensch zu sehn/ Sie werden neu geboren;
-du-er (der Mensch): Du hast lebendig dich zu sehn/ Er würde neu geboren;
– ihr/ihrem – wir (das Mädchen –Hyperion/Demiurg): Ein Glückstern ist ihr großer Traum/ Wir kennen weder Zeit noch Raum oder Ein Glückstern leuchtet ihrem Traum/ Wir haben weder Zeit noch Raum
– wir- alles (Abendstern/Demiurg –alles andere): Denn alles lebt nur für den Tod oder Denn alles scheint nur aufzugehn
Die Arbeit des Übersetzers ist mühsam, aufwendig und verantwortungsvoll. Durch diese Belege wollten wir zeigen, wie manchmal aus Versehen, Eile oder aufgrund einer oberflächlichen Bewertung vermeidbare Verluste bei der Rezeption eines Werkes auftreten können. Durch Übersetzungen ist Eminescu aber – wenn auch nicht in gewünschtem Ausmaß – in den europäischen Literaturen bekannt geworden, und die Übertragungen sind eigentlich der einzige Weg, durch den eine „kleine Sprache“ den „großen“ Kulturen zugänglich gemacht wird, und wir müssen auch dafür den einzelnen Übersetzern immer wieder danken.
Literatur
Coteanu, Ion: Stilistica funcţională a limbii române. Bukarest: Akademie-Verlag 1973.
Del Conte, Rosa: Eminescu sau despre Absolut. Cluj: Dacia 1990.
Gáldi, Ladislau: Stilul poetic al lui Mihai Eminescu. Bukarest: Akademie-Verlag 1964.
Heitmann, Klaus: Eminescu als politischer Denker. In: Eminescu în critica germană. Iaşi: Junimea 1985.
Hjelmslev, Louis: Die Sprache. Eine Einführung, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1968.
Irimia, Dumitru: Limbaje şi comunicare. Iaşi: Institutul European 1997, Bd. II, S. 225.
Irimia, Dumitru: Limbajul poetic eminescian. Iaşi: Junimea 1979.
Kade, O.: Subjektive und objektive Faktoren im Übersetzungsprozess. Leipzig 1964.
Kohn, I.: Eminescu în spaţiul poeziei universale. In : Familia, VI (1979), Nr. ?.
Koller, W.: Einführung in die Übersetzungswissenschaft. Wiesbaden: Quelle & Meyer 1992.
Leca, Magdalena: Limbajul eminescian în traduceri germane şi italiane. Iaşi: Universität “Al. I. Cuza” 2002.
Levi, Jiri: Die Literarische Übersetzung. Theorie einer Kunstgattung. Frankfurt am Main/ Bonn: Athenaum 1969.
Nida, E. A. Taber: Theorie und Praxis des Übersetzens. Leiden 1969.
Raible, W.: Roman Jakobson oder auf der Wasserscheide zwischen Linguistik und Poetik. München 1974.
Vianu, Tudor: Studii de literatură universală şi comparată. Bukarest: Akademie-Verlag 1968.
Vossler, Karl: Volkssprachen und Weltsprachen. München 1927.
Wandruszka, Mario: Sprachen, vergleichbar und unvergleichlich. München 1969.
Wilss, Wolfram: Kognition und Übersetzen. Tübingen:Niemeyer 1988.
Anmerkungen
[1] Irimia, Dumitru: Semne, nume, sensuri poetice în Luceafărul. In : Limbaje şi comunicare. Iaşi: Institutul European 1997, Bd. II, S. 225.