Andra Ivan
Blaga und Goethe – das Urphänomen
Von der Faszination der aus dem massiven Goethschen Gedankengut übernommenen Hinweise durchgehend aufgeklärt, eröffnen heute die zwei Studien über philosophische Exegese, die in dem Band Zări şi etape: Fenomenul originar, 1925 (in welchem Blaga aufgrund des Goethschen Begriffes Urphänomen glossiert und die Geschichte einer par excellence der Organizität und visionären Intuition angehörenden Methode beschreibt) und Daimonion, 1926-1930 (in welchem er die Kernauffassung einer mythischen, nachträglich in den Trilogii entwickelten Denkweise ins Leben ruft) die Perspektive einiger neuen Überlegungen. Die Aufzeichnungen reihen sich einer von den nachträglichen Beschäftigungen Blagas mit der Kultur der Philosophie und der Wissenschaft der Philosophie unterstützten Richtungen an, so daß der Versuch, die hier mitgeteilten Begriffe genau umzuschreiben, wie Blaga 1945 selbst zugab, sich den “Urbildern” und “Antastungen” eines jeden Weganfangs integrieren. Übrigens treffen wir hier den von Goethe verstandenen Begriff des Urphänomens nicht zum ersten Mal in dieser 1925 durchgeführten Studie an, sondern in Blagas noch aus dem Lyzeumsjahren stammenden philosophischen Beschäftigungen. In einem 1914 in Arad erschienenen Artikel, mit dem Titel “Über die Intuition in Bergsons Philosophie”, hatte Blaga versucht, zwischen Schellings intelektueller Intuition, Goethes Methode des Urphänomens und einigen Varianten der Bergsonschen Intuition eine Brücke zu errichten. Natürlich erwies sich die Goethsche Methode des Urphänomens als fähig, eine Denkart, deren Profil von einer Etappe zur anderen präzisiert wurde und deren systematische und endgültige Erbauung wir in den Trilogii wiederfinden, zu befruchten und zu klären.
Die erwähnten Exegese- und Deutungsschriften, welche die Inbrunst der Goethschen wissenschaftlichen und philosophischen Intuitionen, insbesondere die “Metamorphose der Pflanzen”, als Ausgangspunkt haben, erweitern die Suggestionen bis zu einer echten geschichtlichen Debatte der Philosophie, in welchem die Auffasungen einiger Denker wie Strindberg, Weininger, Nietzsche, Spengler, H. v. Kesserling verbreitet werden. Blaga ist jedoch in seinen Erwägungen der 1925 geschriebenen Synthesestudie, dem Urphänomen, nicht unbedingt an den Goethschen Theorien aus dem Bereich der Naturwissenschaften interessiert, sondern an den durch seine Methode eröffneten Perspektiven. Physiker und Pragmatiker sehen Goethe als eine Vorläufer an, fast jede Lebensdoktrin sei laut Blaga dem Weimarer Titan zu tiefer Schuld verpflichtet. Gleichzeitig wäre es keine Übertreibung, zu behaupten, daß Goethe für die theoretisch-erläuternden, von der schöpferischen Tiefenpsychologie seit C.G. Jung oder Lucian Blaga verbreiteten Aufbaustudien verantwortlich ist, daß Frobenius’ oder Spenglers morphologische Kulturtheorie die Grundlage der stilistischen Einheit ebenfalls in einer originären Form gesucht hat, womit sie bewies, daß die Goethsche Methode über sämtliche Voraussetzungen zwecks Verbreitung des Bereiches verfügte und wahrscheinlich noch weiterhin verfügt. Die Besessenheit von dem Urphänomen, in welchem Schiller eine “Idee”, Blaga eine “gespenstische Idee” und andere einen Mythos sehen, wird unschwer mit der spekulativen und ideatischen Ekstase in Verbindung gebracht, mit jenem “transzendentalen Akzent”, welcher jedem sich auf der Suche nach dem festen Archimedschen Punkt, dem Polarstern, dem Referenz- und Gleichgewichtszentrum befindenden Denksystem eigen ist.
Bevor er die völlig außerordentliche Abstrahlung dieser Methode analysiert, erforscht Blaga in den ersten Seiten seiner Studie den theoretischen Goethschen Horizont aus dem Bereich der Pflanzenmetamorphose und Farbentheorie. Das Goethsche morphologische Konzept hatte übrigens bewiesen, daß man in jedem Keim die Frucht erblicken und mit der Gestaltungstheorie zur Konfiguration der sogenannten “Urpflanze”, die originäre Pflanze des Pflanzenreiches, gelangen kann. Aufgrund dieser Spekulation ist es dem Schöpfer von Faust gelungen, die Methode des Urphänomens einzusetzen – wobei dieser die lebendige Intuition, das Analogiensystem, die Metamorphose und die Polarität zugrunde lag – und die mathematisch-mechanische Deutung der Natur durch eine lebendige, dynamische und belebte Deutung zu ersetzen. Jenseits der unendlichen Formenvielfalt worunter das Leben wimmelt, befand sich Goethe auf der Suche nach einer grundlegenden Form, nach einem für alles Gegebene verantwortlichen schöpfenden Muster. Die Abstraktisierung ablehnend, gerade um dem Urphänomen den nicht verminderbaren und unteilbaren Koeffizienten, das lebendige, organisch auf Wachstum und Verwandlung fähige und ihm von Goethe verleihte Bild zu erhalten, analysiert Lucian Blaga dieses Goethsche Konzept bündig jedoch klar wie folgt: durch Analogien geschöpft “offenbaren sich die Urphänomene, die archaischen Phänomene dem Verstand nicht in Form von Abstraktionen, sondern in der Form von Intuitionen, wie jedes andere Phänomen. Die Urphänomene werden, falls nicht empirisch, mit dem äußeren, dann mit dem inneren Auge betrachtet; sie sind Gespenster aus dieser oder aus einer anderen Welt und damit Ableitungen der platonischen oder neoplatonischen Ideen”[1]. Diese Art von Denken lehnt die programatische Verankerung in das sofortige Zarte, in das, was Goethe “die Schale der Natur” nannte, ab, indem es ihm gelingt, Spaltungen, lichte Schimmer in der “Welt des Wirklichen” zu vertiefen. Der Wunsch nach Visualisierung und nach der Intuition der Essenzen setzt die Öffnung zu seinem “Keim” mit voraus, in die Richtung eines Reichtums an von der metaphysischen Übung des Sehens gelieferten Synthesebildern. Der Glaube an die Möglichkeit einer theoretischen Verminderung der phänomenalen Vielfalt zu jenem plotinianischen “eidos”, zu einem endgültigen “was” – unabhängig davon, ob er sich Typus, Urbild oder Urtypus nennt, erregt die synthetische Betrachtung, das geistige Anschauen – es ist die Suche nach einem im Teil-Ganzes Verhältnis möglichen Gleichgewicht. Zum Unterschied jedoch von Platons unbeweglichen und unbiegsamen archetypischen Ideen sind die Urphänomene dynamisch, in dem Sinne, daß in ihnen eine Polarität tätig ist, welche in ihrem rhythmischen und kontrapunktigen Wirken besteht: Licht – Dunkelheit, Zusammenziehung – Ausdehnung, Wachsen – Schwinden. Selbst für einen Forscher der Goethschen wissenschaftlichen Beschäftigungen wie Hermann Siebeck mußte der Ausgangspunkt eine vorhergehende, erratende Synthese, eine Goethsche Vorgangsweise sein. In seinem Werk Goethe als Denker legte er der Vielfalt der lebendigen Natur eine Urpolarität zugrunde, welcher zufolge “kein Phänomen seinen völligen Tiefgang anders als durch das Verhältnis zum anderen präzisiert”[2], mit welchem er kontrapunktisch armonisiert ist. Die Goethsche Bestrebung ist eine, welche in dem Maße, in welchem sie die innere Pluralität der Welt und ihre eigenleitende Polarität behauptet, die Möglichkeit ihrer Verringerung auf einen unterschichtigen Monotheismus entdeckt: das Urphänomen. Die Natur und die Geschichte folgen, von allen Sichtpunkten aus gesehen, dem Beispiel eines Pflanzenkerns, welcher von Anfang an mit einer Serie von latenten Möglichkeiten geladen ist. Durch die Reichheit des Umfangs weist das Urphänomen somit eine Dimension auf, welche uns irgendwo, unter das Sternzeichen des Vorwegnehmens platziert, in den Horizont einer als Schicksalsvirtualität erlebten Zukunft. Das Spiel des selben Schicksals bewirkt, daß ein Urphänomen doppelt valorisiert wird: als bildender Grundsatz (das Urphänomen ist die das Universum wiederspiegelnde Monade, das Teil, welches das Ganze reflektiert; es kündigt einen ganzen Prozeß an, wie in den orfischen Mysterien, wobei die Keimung den a-tomos-Status als unteilbares Element des Urphänomens aushebelt, dieses wird aktiv und generiert aus sich und für sich ein ganzes Universum) und als begrenzender Grundsatz (indem er ganz in Blagas Sinn aus Diferenþialele divine warnt, daß die Existenz von einer einzigen Gefahr belauert wird, von der Gefahr ihrer eigenen identitätsschöpfenden Natur, dem Keim, der Leibesfrucht, welche in ihrem Körper die Begrenzung ihres eigenen Ablebens beinhaltet). Bei Blaga, genau wie bei Goethe, ist die unterirdische Gegend der Mumen der Platz, wo die schöpferischen Mächte in einen ununterbrochenen Prozeß von Gestaltung – Umgestaltung ins Leben gerufen werden, indem sie die Essenz der Existenz, aber auch der Kultur einschließen, wobei die Kultur jenseits der Beendung eines Uraugenblickes als eine bildende Geste betrachtet wird. Indem sie uns nur durch Intuitionen, also “durch geistreiche Inspirationen” oder durch die anschauende Urteilskraft[3] gewahr werden, schließen die Urphänomene grundlegend den Kern dieser Welt ein, das Bild eines unbekannten “Etwas” von jenseits, eines aktiven, unserem wissenschaftlichen, praktischen Denken unzugänglichen Grundsatzes. Es ist ein unermüdliche Sinne schaffender Grundsatz, welcher den Sprung des Denkens jenseits der Stacheldrahtlinie, welche quer entlang des Wissens liegt, begünstigt. Durch eine sich auf Kantsche Deduktionen stützende Epistemologiekritik hat Blaga die verletzlichen Seiten einer derartigen Philosophie erraten; die zwischen die Kantsche Denkweise und Goethsche Betrachtungsweise bestehende Disjunktion über die Naturforschung erscheint Blaga als diejenige zwischen der “Lebenslogik” und “Todeslogik”. Das Goethsche Transplantat, welches eine plenitudinäre Lebenskraft mit sich bringt, hatte jedoch, laut Blaga “ein umso fruchtbareres und günstigeres Anwendungsfeld, je mehr es sich von den Naturwissenschaften entfernte und sich dem Reich des Geistes näherte”[4]. Daher können wir, in der Reverenz mit welcher Blaga in diesem Werk, welches seinen Titel von Goethe leiht, die Herkunft und die theoretische Autorität des Urphänomens erwähnt, den Raum einiger nachträglichen bildenden/reaktiven Begegnungen enthüllen: die Morphologie der Kultur und ihr ultimativer Ausdruck, das stilistische Muster, die Psychanalyse, Nietzsches und Spenglers Philosophie und nicht in letzter Reihe die Philosophie der Wissenschaft (die Arbeit Experimentul şi spiritul matematic) als konvergenter Anwendungsraum der in der Kultur – und Wissenstrilogie ausgearbeiteten Kategorien.
In der erwähnten Studie, dem Urphänomen, hatte Blaga die Goethsche Methodologie durch den Denkfilter Schellings, Strindbergs, Nietzsches, Spenglers geleitet. Die Romantiker hatten die Logik der Analogien, das Polaritätssystem und in Daimonion jenen “Kult des Unbewußten” ausgebeutet, welcher die “Dämonie” der Tiefen mit dem Wert eines schöpferischen, originären Grundsatzes gleichgestellt hatte. Leider hatten sie durch ihre wissenschaftlichen Voraussetzungen die Goethsche Methode zu einem Stillstand verurteilt, aus welchem sie Nietzsche retten und ihr andere Horizonte eröffnen wird. Indem er die Pluralität auf eine vormundschaftliche Einheit verringerte, die er als “Einheit des Stiles” bezeichnete, bemerkte Nietzsche: “die Kultur ist vor allem die künstlerische Stileinheit in allen Lebensoffenbarungen eines Volkes”[5] Die “Stileinheit” der klassischen griechischen Kultur, deren metaphysische Essenz in der Einheit der Sagen, der Musik und der Dichtung erkennbar war, wurde von Nietzsche in die moderne Kultur projiziert. So wie Blaga bemerkt hatte, war Nietzsche der erste gewesen, welcher unbeabsichtigt die Goethsche Methode des Urphänomens in die Philosophie der Kultur einführte und das Urphänomen der griechischen Kultur als doppelte Tendenz, des apollinischen und des dionysischen identifizierte: “Das Konzept bringt eine Polarität der Termini mit sich… Die Polartermini bedingen sich gegenseitig. Apollo kann nicht ohne Dionysos leben und auch Dionysos nicht ohne Apollo”[6]
In die Fußstapfen Nietzsches tretend hat Spengler die intuitive, morphologische Methode ausgebeutet, welche die biologische Dimension bevorzugt, die Kulturen als lebendige Organismen versteht, die sich einigen gesetzlichen Entwicklungsprozesse unterwerfen, mit Anfängen, Anwachsungen, Aufblühungen und Absterbungen: “In der Weltgeschichte sehe ich nichts anderes als das Bild einer immerwährenden Konfiguration und Umkonfiguration, eines Werdens und Verschwindens organischer Formen”[7]. Als Urphänomen jeder vergangenen und zukünftigen Geschichte, wurde die Kultur von Spengler als ein habitus der Pflanze, als ein Ablagerungs- und Schöpfungszentrum der “wahren Seelen” der Kultur, als ein dem Stilbegriff immer zugrundeliegender Brennpunkt betrachtet. Die Schwierigkeiten dieser Auffassung leiten sich sowohl aus der morphologischen Begreifung der Kultur als ein autonomer Organismus, als auch aus der mangelhaften Anwendung der intuitiven Methode ab. Die durch Spengler hergestellte Beziehung zwischen den “wahren Seelen” der Kulturen, an eine Landschaft gebundene “metaphysische Einheiten” (die Theorie des kosmischen Symbolismus) stellt eigentlich eine Mischung zwischen einer naturwissenschaftlich – biologisierenden und der intuitiv – organischen Goethschen Methode dar. So wie Blaga im Urphänomen die Ansicht vertrat, war Spengler von dem ontologischen Unterschied zwischen dem Werden und Gewordenen ausgegangen, welches sich auf die Opposition zwischen der intuitiv-organischen (morphologischen) und kausalen Behandlung bezog, eine Opposition, welche sich aus der Betrachtung der Welt als Geschichte und Natur ableitet. Diese Erwägungen wurden von dem Kulturphilosophen fast buchstäblich in O. Spengler şi filosofia istoriei aus Trilogia cosmologică übernommen. Das Studium der Natur erfolgt, so Blaga, analytisch, systematisch, abstrakt. Die Natur hat ein abgestorbenes Gelenk, eine nicht wechselseitige Kausalität und Ordnung. Dagegen sei das Studium der Geschichte synthetisch, physionomisch, intuitiv. Daher sei der Gegenstand der geschichtlichen Studie nichts weiter als die Entfaltung eines kulturellen Organismus. Die Geschichte hat ein lebendiges Gelenk, eine nicht wechselseitige Ordnung und, genau wie die Urphänomene, eine Fatalität, welche “nicht vergißt, die Blätter zu öffnen, bevor sie die Blüte erzeugt” [8]. Spenglers Idee über die Kultur als Urphänomen wird jedoch, so Blaga, einer sich gerade aus der Vermischung des intuitiv-organischen mit dem kausalen Sichtpunkt ableitenden Verwechslung schuldig: “Indem es ihm gelungen war, die intuitiv-organische Synthese einer Kultur durch die Entdeckung der Seele und des kosmischen Symbols zu liefern, mußte Spengler hier Schluß machen, wie bei einem endgültigen “was”, wie bei einem “Urphänomen”[9]. Spengler begibt sich jedoch in die Gefahr, die Kultur logisch-naturalistisch erklären zu wollen, indem er fehlerhaft behauptet, daß es eine Korrespondenz zwischen dem kosmischen Symbol einer Kultur und der Landschaft, in welcher sie auftritt, gäbe. Die Landschaftstheorie ist ein Überbleibsel der naturalistischen Auffassung, und wir werden vor die Wahl gestellt: entweder ist die Kultur das Urphänomen, und dann entfällt die Theorie der Landschaft, oder wird die Landschaft von der Kultur bestimmt und dann fällt die Theorie des Urphänomens weg.
Die Einseitigkeit des Unterschiedbarkeits-/Typologisierungskriteriums der Kulturen je nach der außen-landschaftlichen Dimension, das mangelhafte Verständnis der Kultur als “Organismus” bewegte Blaga dazu, sich von Frobenius (welcher sich auf die Volkskunde stützte) und von Spengler (welcher das stilistische Bett in der Landschaft entdeckt hatte), abzugrenzen. Der rumänische Philosoph hat das Verdienst, dem spezifisch kosmischen Gefühl einer Kultur auch einen zeitlichen Rahmen hinzuzufügen, und besonders den Horizont des Unbewußten. Er gelangt durch die Ästhetik und die Philosophie zum Stil. Durch den Tiefgang bestimmt er eine gesamte philosophische Auffassung, welche sich auf das Vorhandensein einer Garnitur stilistischer (abyssaler) Kategorien von einer großen kosmotischer Komplexität im Unbewußten stützt. Dieses Unbewußte nimmt, durch die “abyssalen Kategorien”, den Platz des von Blaga theorisierten Goethschen “Dämonischen” bereits ab 1926 in Daimonion ein. Mit jener, dichterischen, nichtrepressiven, “inneren Stimme” identifiziert, welche dazu bestimmt ist, die Schwerbeweglichkeit der silogistischen Bewußtseinbildung zu zerrütten, assoziiert sich das Goethsche “Dämonische” mit der Macht, mit der unterirdisch-schöpferischen Ekstase (die von Blaga in Form einer Sage gedacht wurde) und mit dem abyssalen, nichtrationalen Bestandteil des Urphänomens. Es ist ein Trieb aus der Tiefe, welche viele Kulturgesichter annimmt, indem er sich als der strukturierende und verwertende Faktor dieser offenbart. Wir sind also berechtigt in der Annahme, daß das Urphänomen, genau wie das Blagsche stilistische Muster, eine Visionsauffassung darstellt, welche dazu bestimmt ist, die zum schöpferischen Akt führenden bildenden Triebe zu verzeichnen/überraschen. Wir erkennen gleichzeitig die Goethsche Auffassung der Schöpfung: das Hinuntersteigen Fausts in die dunkle, abyssale Gallerie der Mumen, in die Zone der fruchtbaren Wurzeln und der geheimnisvollen Veränderungen, in das Königreich der elementären Formen, bedeutet symbolisch den Schöpfungsprozeß selbst. Die Offenbarung tritt erst dann ein, sobald der Künstler die an das “mundus subterraneus” gebundenen Zeichen, Mysterien registriert. Es sind die Unterbewußtseinstimmen eines Urichs…
Die abyssalen Kategorien drücken sich als Siegel, Knochengerüst und latenter Horizont nicht nur einigen Kunstwerken, sondern auch den theoretischen Schöpfungen der Wissenschaft auf. Es ist die Schlußfolgerung, zu der Blaga in Trilogia valorilor kommt, aber sie wurde in seinem letzten wissenschaftsphilosophischen Werk, welches 1969 nach seinem Tod veröffentlicht und in sein umfangreiches philosophisches Programm Experimentul şi spiritul matematic integriert wurde, intuiert. In diesem Werk rechtfertigt Blaga die Verwendung einiger Visionsauffassungen, welche sowohl dem Aristotelisch-Goethschen, als auch dem Galileo-Newtonschen Wissenschaftstypus einen Theoretisierungsplan konfigurieren. Indem er den kognitiven Strenge- und Leistungsfähigkeitszuschuß des Experiments, in diesem Falle jenes experimentum-crucis ignoriert, entscheidet sich Blaga für eine dem Sprung ins Trans-Empirische geeignete Intuitivitäts- und Paradoxalgrundlage: “Wir denken, sagt Blaga, an jenen Plan, welcher mit den geheimnisvollen Tiefen der Existenz verbunden ist, zu dessen Offenbarung nicht so sehr abstrakte Auffassungen wie Bildauffassungen[10] verwendet werden.” Sich an der Grenze zwischen dem Abstrakten und Konkreten befindend, die nur auf dem Wege der fruchtbaren Intuition offenbar werden, öffnen diese Bildauffassungen einen breiten philosophisch-spekulativen Horizont. Es gäbe, so Blaga, zwei Arten von Theoretisierung: eine abstrakte Theoretisierung, mittels Gesetze und Auffassungen, die im Falle der phänomenalen Welt angewandt werden kann, und eine imaginäre Theoretisierung, auf hypothetischem Plan, mittels Bildauffassungen. Diese letztere – indem sie dem transempirischen Plan angehört und die Wahl des Philosophen für die intuitive Natur der Wissenschaft und für ihre Integrierung in die von Blaga in ªtiinþă şi Creaþie genannte Kenntnis zweiten Typus’ bestätigt – rehabilitiert das Vorstellungsvermögen, rettet das Intuitive und öffnet den Weg zu dem versteckten Keim der Dinge, zu ihrem inneren Blickfeld. Theoretisch aufgebaut, aber “durch eine Reihe von geschickten Tricks berichtigt”[11], gerade um dank der dem Sinnenfeld angehörenden Bilder in tiefer gelegene Zonen als die empirische hineindringen zu können, können die Auffassungsbilder als konzeptuelle Umstellungen des Urphänomens gelesen werden. Wir befinden uns offensichtlich vor einer Denkweise, welche zwischen den Sinnesgegebenheiten und Mythos, zwischen der Anpassung zum Reellen und der Verankerung in einen tieferen Plan der Existenz schwankt.
Gespenst und Abstraktion, esoterische Mischung von Intuition und intelektuellem Aufbau, kann das Auffassungsbild, genau wie das Urphänomen, nur auf hypothetischem Plan betrachtet werden: “Durch die Hypothese versteht man diesmal gerade eine Schöpfung, eine theoretische auf jeden Fall, welche in dem Streben, der transempirischen Gegend angehörende Aspekte aufzudecken, sich in erster Reihe der Bildauffassungen bedient”[12]. Zum Beispiel greift Newton auf die Bildauffassung der “korpuskularen Natur” des Lichtes, Huygens führt sämtliche Lichterscheinungen auf die Bildauffassung der “Ätherwellen” zurück….”Die Pflanze ist Blatt” oder die Farben als ein Kampf zwischen Finsternis und Licht sind nicht weiter als ebenfalls hypothetische Schöpfungen, Intuitionen, Bildauffassungen. Blaga erweitert den Vorgang von Aristoteles zu Goethe, von Newton zur aktuellen Mikrophysik, mit ihm bekannten Beispielen, wie die Farbentheorie, wobei das Lichte und das Finstere in dem Getriebe der Goethschen Theorie, die Rolle einiger Bildauffassungen/Urphänomene haben, die sich in antipodischer Ergänzung befinden. Die Idee eines “indirekten Akkords” zwischen den empirischen Farben und den Bildauffassungen ist eine Wiederaufnahme auf einem anderen Theoretisierungsplan des selben indirekten Akkords zwischen der Idee mit theoretischer Funktion und das Fanische des offenen Mysteriums aus Cunoaşterea luciferică. In der Goethschen Optik gibt es, dieser Linie folgend, einen bemerkenswerten inhaltlichen Unterschied zwischen dem Fanischen des offenen Mysteriums (das konkrete Material der Existenz, immer konzeptuell bestimmt: die empirischen Farben) und die Idee mit theorischer Funktion (eine in den dynamischen Mittelpunkt eines Problems luziferischen Denkens gesetzte Idee, “Sprungbrett” in das Kriptische eines offenen Mysteriums: die Bildauffassung des Lichten und Finsteren, so wie er von dem Goethschen Auge, Geist und Seele bestimmt ist).
Indem er in Trilogia valorilor über die “führende Funktion der abyssalen Kategorien”[13] sprach, beabsichtigte Blaga unter Beweis zu stellen, daß die Philosophie der Kultur auch in die philosophische Problematik der Kenntnis Licht bringen kann, vor allem für die Klärung einiger der geheimnisvollsten Faktoren des wissenschaftlichen Denkens. Die Schöpfung wissenschaftlicher Theorien, kvasisynonym mit der metaphysischen Schöpfung und der mytischen Spontaneität, führt zu der Schlußfolgerung, daß die theoretischen Erfindungen der Wissenschaft die unvermeidlichen Schandmale der stilistischen Kategorien tragen: “In dem Maße, in welchem die Wissenschaft konstruktiv ist, also in dem Maße, in welchem sie theoretische Schöpfungen hinsichtlich der verborgenen Seite der Phänomene vorschlägt, scheint mir die Wissenschaft offensichtlich den stilistischen Faktoren unterworfen zu sein”[14]. Offensichtlich schlägt Blaga die Ableitung der Bildauffassung ebenfalls aus einer theoretischen Schöpfung offenbarender Natur vor, indem er ihm somit den abyssalen Bestandteil, den “kategorialen” Charakter enthüllt.
Es hat den Anschein, daß das Goethsche “Denken” nicht nur in der Kunst und der Philosophie, sondern auch in den Realwissenschaften möglich ist. Alle diese wissenschaftlichen Entwicklungen werfen das Problem einer existenziellen Grundsatzgleichung auf: alles, was existiert, existiert aufgrund und in den Grenzen einer kosmischen Gleichgewichtsformel, in der Vorahnung und Versuchung jenes geheimnisvollen Horizontes der Herkunft.
Anmerkungen
[5] F. Nietzsche, Sämtliche Werke, hrsg. von G. Colli und M. Montinari, Bd. 1, München Verlag, 1980, S. 163.
[7] O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes, Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, C.H. Beck Verlag, München, 1963, S. 29.