Kálmán Réka
Die Übersetzerstätigkeit von Hugo Melzl im Falle des Gedichtes „Der Strauch erzittert, denn…“
1. Die Übersetzertätigkeit von Hugo Melzl
Der Übersetzer und Literaturwissenschaftler Hugo Melzl hat in der „Zeitschrift für vergleichende Literatur“ einen bedeutsamen Einfluss auf die Komparatistik seiner Zeit ausgeübt. Er hat vor allem die Notwendigkeit der literarischen Übersetzungen behauptet. Er meint, dass es bloß durch literarischen Übersetzungen möglich ist, verschiedene Werke der Weltliteratur in Erinnerung zu behalten. Die schwerste Aufgabe ist allerdings, eine Übersetzung vorzulegen, die auch in der neuen Sprache die Botschaften des Originals vermitteln kann. Eine geglückte Übersetzung ist Neuschöpfung und die Rolle des Übersetzers ist ebenso wichtig wie die des Verfassers.
Hugo Melzl hat selbst viel übersetzt und in seiner “Zeitschrift für vergleichende Literatur” erschienen zahlreiche Fassungen eines Werkes in unterschiedlichen Sprachen. Es handelte sich meist um Sprachen kleiner Volksgruppen. Das Ziel war, dass Angehörige mehrerer Kulturkreise einzelne Werke lesen und beurteilen können. Melzl war der Ansicht, dass man vor allem die nationale Würze der einzelner Literaturen beibehält. Ihm scheint, dass jedes Lied neben allegmeinen Kennzeichen auch seine jeweils eigene “Couleur locale“ aufweist. In seinen Übertragungen hat Meltzl diesem Prinzip zu befolgen versucht..
Dies geschieht auch im Falle des Gedichtes “Der Strauch erzittert, denn…” von Sándor Petőfi. Im allgemeinen kann man festhalten, dass sich der Übersetzer ziemlich eng an den originalen Text hält (im Wortschatz, in der Verwendung der stilistischen Mittel), aber gleichzeitig achtet er auf die spezifischesten Merkmale der Petőfischen Dichtung, und er hat diese so gut wie möglich in seinen Übersetzungen wiedergegeben.[1]
1.1. Die originale Fassung des Gedichtes „Der Strauch erzittert, denn…”
1.1.1. Die volksliedimmanenten Merkmale
Das Gedicht “Der Strauch erzittert, denn…” weist fast alle Besonderheiten Petőfis auf. Der volkstümliche Ton, die Naturbilder, die Schlichtheit sind auch in diesem Lied vorhanden.
Bei Petőfi ist das Volkslied Selbstausdruck, sein eigener Seelenzustand ist die Grundlage seiner Lieder. Der volkstümliche Klang, die Folklore sind in seinen Gedichten schon aufgelöst, und so ist seine Volkstümlichkeit von exklusiv lyrischer Art. Er schliesst aus den Volksliedern, dass Seele an sich ein künstlerischer, dichterischer Wert ist und hat die ungekünstelte Originalität der Volkslieder um sein künstlerisches Ich bereichert.
Seine Ausdrucksweise ist anders als die seiner Zeitgenossen. Petőfi imitiert nicht, er identifiziert sich mit dem ästhetischen Modell der Volkslieder, ihm ist es gelungen aus der Volksdichtung das zu selektieren, was literarischen Wert aufweist. Solcherart intergriert er volkstümliches Erleben in seine Dichtung.[2]
Melzls Aufgabe war nicht gerade einfach, wenn er all diese Besonderheiten der Petőfischen Lyrik beachten wollte.
Das Gedicht beginnt mit einem Naturbild (das Bild des Strauchs) “ Reszket a bokor, mert / Madárka szállott rá”[3]; “Der Strauch erzittert, denn /Ein Vöglein setzt sich hin.” [4] Das ist typisch für Volkslieder. Die ersten zwei Verse mit “ Reszket a lelkem, mert/ Eszembe jutottál”; “Mein Herz erzittert, denn / Du kamst mir in den Sinn” bilden eine Parallele zu einem konkreten Bild (dem Strauch) und einem Abstraktum (das Herz, im ungarischen Original eigentlich Seele). Die Parallele als Stilfigur ist für Volkslieder charakteristisch. Ihre Rolle besteht in der Differenzierung der Erlebnisse und Strukturen aufgrund eines gemeinsamen Merkmals. Der Dichter benutzt die Parallele in Anlehnung an die Volkslieder um seinen Seelenzustand anzudeuten, der durch die Erinnerung an die Geliebte definiert wird. Der Strauch und das Herz des Dichters erzitterndurch etwas von außen Kommendes, das Vöglein, das metaphorisch für die Geliebte steht.
In den letzten Versen der ersten Strophe erscheint tatsächlich die Geliebte als “kicsiny kis leányka”; “Du Mägdelein” angesprochen. Diese Anrede ist den Volksliedern eigentümlich, in dem Sinne, dass sie allgemein gültig ist. Die Figur der Geliebten wird nicht herausgehoben, ihre Person trägt keine spezifischen Züge, sondern bleibt eher unbestimmt, alltäglich. Das Wort “Mägdelein” hat eine generalisierende Bedeutung. Bloss eine Metapher “Edelstein”, (“gyémánt”= Diamant) umschreibt sie. Die Darstellung der Geliebten anhand eines Edelsteines hängt mit der Volksmentalität zusammen. Die Benennung “gyémánt” (Diamant) wird für die Bezeichnung der Geliebten in der ungarischen Volkspoesie selten angetroffen. Sie erscheint eher in den Volksmärchen und hat die Funktion, eine Steigerung ausdzudrücken (Silberwald, Goldwald, Diamantwald). So evoziert das Wort “gyémánt” eine stilisierte, künstlerische Atmosphäre.
Die zweite Strophe fängt wieder mit einem Parallelismus an“Teli van a Duna,/ Tán még ki is szalad./ Szivemben is alig/ Fér meg az indulat,”; “Die Donau ist so voll,/ Sie überfliesst schier;/ So voll ist auch mein Herz-/ Voll Sehnsucht schwillt es mir.” Die rhetorische Frage “Szeretsz rózsaszálam?”; “Liebst du mich, Röslein, sprich?” führt wieder die Figur des geliebten Mädchens in das Gedicht ein. “Rózsaszál” (das Röslein) ist eine Blumenmetapher, die in der Volksdichtung für die geliebte Person oft verwendet wird. Das Argumentieren “Én ugyan szeretlek”; “Ich lieb dich allezeit,”, der eigentliche Liebesbeweis, wird abgerundet durch die Aussagen “Apád-anyád nálam/Jobban nem szerethet”; “Wie Vater, Mutter dich/ Nicht lieben allebeid.” wird eine erneute Bestätigung erfahren. Das Wachrufen der elterlichen Liebe gilt als Betonung und Steigerung des Liebesbeweises durch den Dichter. Der Volksauffassung entsprechend ist derjenige der Liebe eines Mädchens wert, der sie soe bedingungslos, wie es Eltern tun, zu lieben vermag. Weil der Dichter eine solche Rolle übernehmen würde, handelt es sich auch um eine verborgene Anspielung auf eine eventuelle Ehe.
Auch in seinem Gedicht “Szeretlek, kedvesem!”[5] sind wir Zeugen einer ähnlichen Verbundenheit mit der geliebten Person
“És egy személyben te
Vagy mindenem nekem:
Lyányom, anyám, húgom,
Szeretőm, hitvesem!”
“So bist auch in Einer Person du
Mein alles, o Gattin traut:
Meine Tochter, Mutter, Schwester
Meine Ehgemahl, meine Braut!”[6]
Hier aber werden seine schmucklos leidenschaftlichen Worte intensiviert und stehen für eine gänzlich erfüllte Liebe.
In der dritten Strophe wird die Zeitebene gewechselt; es beginnt mit einer Erinnerung an ein vergangenes Ereignis.
“Mikor együtt voltunk,
Tudom, hogy szerettél.
Akkor meleg nyár volt,
Most tél van, hideg tél.”
“Ich weiss, du warst mir gut,
Als wir zuletzt uns sah`n;
Da war noch warmer Lenz,
Jetzt will der Winter nahn.”
Der Sommer (“nyár”- in der deutschen Übersetzung: “Lenz”) ist die Jahreszeit der positiven Werte, der Wärme und Sicherheit. Dieser Pol steht im Gegensatz zum Winter, der Ödnis, Distanzierung, Kälte und das Fehlen der Gefühle symbolisiert. “Meleg nyár”; (“warmer Lenz”), “hideg tél” (kalter Winter) sind nicht nur als Stilmittel Gegensätze, sondern als Redebilder sind sie sog. Wesensattribute, deren Verwendung eine Analogie mit den Volksliedern aufweist. Diese Wesensattribute der Syntagmen sind fast alltägliche Attribute, die die wichtigsten Besonderheiten der jeweiligen Person widerspiegeln. Die Lenz/Winter-Antithese lässt gleichzeitig die verborgenen Zwänge erkennen. Es gibt eine Parallele zwischen den sich abwechselnden Natur- und Gefühlserlebnisse. Trotz der persönlichen Ängste behält der Dichter bis zum Ende des Gedichts den liebevollen, zarten Klang bei. Höhepunkt ist seine Bitte an Gott. Er bittet um Gottes Segen für seine Geliebte.
“Hogyha már nem szeretsz,
Az isten áldjon meg,
De ha meg szeretsz, úgy
Ezerszer áldjon meg!”
“Liebst du mich nicht mehr, sei
Gesegnet, Mägdlein, ach!
Liebst du mich noch- dann sei
Gesegnet tausendfach!”
Mit dem Segen Gottes nimmt die Liebe himmlische Züge an.
Dieses Gedicht erinnert seinerseits an Volkslieder. Petőfi verwendet die Wiederholung um seinen Gedanken Nachdruck und Gewicht zu verleihen. Trotz der Ähnlichkeiten gibt es auch feine Unterschiede zur Volkspoesie. Der Segen des Dichters ist eine davon. Ein Volkslied würde nach einer Enttäuschung in der Liebe nie mit einem Segen enden. In der volkstümlichen Meinung findet man sich nicht so einfach mit dem Verlust ab.
Petőfi hat die zeitgenössische Mode des Dichtens nach volkstümlichen Modellen in mancherlei Hinsicht überwunden. Für seine Poesie ist eine elegante Mischung von Volkstümlichem und Individuellstem (d. h. seiner Subjektivität, seiner komplexeren Gefühle) kennzeichnend. Er kann seinen eigenen Stil und die volksdichterische Stimmung so miteinander verbinden, dass sie ein harmonisches Ganzes ergeben.
1.1.2. Die Metrik
In der ungarischen Poesie gibt es zwei metrische Systeme; das erste ist die quantifizierende Metrik, bei der die Länge und Kürze der Vokale, die Unterschiede in derer Quantität von Bedeutung sind. Die Länge und Kürze der Vokale fällt nicht unbedingt mit den Betonungen zusammen, was lang ist, wird nicht immer betont. Diese Metrik folgt den griechisch-lateinischen Versfüßen und Takten.
Das andere metrische System heißt die sog. ungarische betonte Metrik. Sie ist ein Spezifikum der ungarischen Dichtung. Ihre Eigenart besteht in dem regelmäßigen Wechsel der betonten und unbetonten Silben. Es handelt sich um eine Betonung in Abhängigkeit von der Wortbedeutung. Im Ungarischen wird in der Regel die erste Silbe betont, und bei diesem metrischen System ist ein Takt länger (3-4 Silben) als bei quantitifizierenden Metrik. (2-3 Silben). Dieses metrische System entspricht der ungarischen Poesie besser, da das Ungarische lange Wörter hat und keine musikalische Sprache ist.[7]
Dieses Gedicht wird in ungarischer betonter Metrik geschrieben. Verschiebungen aufgrund des Rhythmus können vorkommen.
Reszket a / bokor, mert/ 3/3
+ – – / + – -/
Madárka / szállott rá./ 3/3
+ – -/ + – -/
Das ist ein Sechservers (insgesamt sechs Silben) mit Zweiertakt.
Dieses metrische System lebt in der Urpoesie, der Volksdichtung und den Volksliedern der ungarischen Literatur. Dieses System steht in fester Verbindung mit dem Bau dieser Sprache, mit der Melodie und dem natürlichem Rhythmusgefühl der Sprecher. Die Grundlage dieser Metrik ist die Sprache selbst, ihre wichtigsten Eigenheiten.[8]
1.1.3. Der Reim
Was den Reim im Gedicht betrifft, ist es zu anzumerken, dass der Kreuzreim (a-b-a-b-a-b-c-b), der den Volksliedern spezifisch ist, oder eine einfache Reimart, der sog. “ragrím” (~Nachsilbenreim) benutzt werden.
Diese Reimart, der Nachsilbenreim, besteht darin, dass die Flexionsendungen bei Verben oder Pluralendungen miteinander reimen. Oft ergeben die Wiederholungen und Flexionsendungen den Reim.
Die Verwendung des Nachsilbenreims zeigt Petőfis artistische Kühnheit; er wagte es, mit einer einfachen Reimart künstlerisch Anspruchsvolles auszudrücken.
2. Meltzls übersetzte Fassung
- Strophe
Allein der Titel und der Eröffnungsvers der ersten Strophe richtet sich nach dem Originaltext. Nur das Verb “erzittert” hat einen etwas abweichenden Bedeutungsinhalt. Im Deutschen handelt es sich – nach der Aktionsart – um ein ingressives Verb, das das Einsetzen einer Handlung anzeigt. Das Präfix “er-“ deutet auf einen plötzlichen Beginn hin. Dagegen ist im Ungarischen das Verb “reszket” dem Aspekt nach ein duratives Verb. Die Verlaufsweise eines verbalen Geschehens wird im Hinblick auf sein Verhältnis zum Zeitablauf maßgebend. Das Verb “reszket” drückt einen ganzen Prozess des Zitterns aus. Dieser kleine Unterschied ist wegen der Ausgangsparallele wichtig. Das Zittern des Strauches ist genauso auf Dauer angelegt wie die Liebe des Dichters.
Die nächsten Verse “Ein Vöglein setzt sich hin:/ mein Herz erzittert, denn/ Du kamst mir in den Sinn, / Du liebes Mägdelein, /Du dieser grossen Welt / Allgrösster Edelstein!”/ sind gleichwertig stilisierte, fast Wort-für-Wort-Übersetzungen der ungarischen Fassung. Nur die Anrede der Geliebten erfolgt anders als im Original. Wegen der Wortkürze benutzt Melzl das Attribut “liebes” statt “kicsiny kis leányka” (klein kleines Mägdelein). So verschwindet das Steigerungselement bei der Evozierung der Geliebten, aber die Liebkosefunktion der Anrede wird durch das Attribut “liebes” erfüllt. Wahrscheinlich fiel die Wahl des Übersetzers auf dieses Wort, weil es den deutschen Volksliedern vorkommt. Die letzten Verse der ersten Strophe sind geeignete und gelungene Übersetzungen der ungarischen Variante, die eine starke poetische Intensität ausstrahlen.
- Strophe
“Die Donau ist so voll,
Sie überfliesst schier;
So voll ist auch mein Herz –
Voll Sehnsucht schwillt es mir.”
“Teli van a Duna,
Tán meg ki is szalad.
Szivemben is alig
Fér meg az indulat.”
Die Anfangsparallele wird im Deutschen durch einen Vergleich ergänzt: “so”. Im ersten Vers steht diese Ergänzung an letzter Stelle, im dritten Vers erscheint “so voll” schon an erster Stelle. Trotz dieser Umschreibung bleibt der gedankliche Inhalt dem Original treu, und beide “so voll” -Strukturen haben die Funktion, etwas hervorzuheben. Meltzl hat den Mut, einfache Wörter in der Übersetzung zu verwenden und diese sogar in Wiederholungen zu akzentuieren.
Im vierten Vers findet man “indulat” (Gemütsbewegung, ~Leidenschaft) im Originaltext; statt dessen benutzt Melzl das Wort “Sehnsucht”, das aber eine andere Stimmung ausdrückt. Der Begriff “indulat” verweist auf etwas Cholerisches, Heftiges, Explosives, er ist nicht eindeutig positiv. Dagegen ist “Sehnsucht” von längerer Dauer. Der mildere Einsatz wird jedoch mit dem Verb schwellen (“schwillt”) meisterhaft verbunden: Melzl ergänzt das Wort “Sehnsucht” mit einem spannungsgeladenem Verb, und bewahrt er damit etwas von der Energie Petőfis.
Die rhetorische Frage “Liebst du mich, Röslein, sprich?” (“Szeretsz, rózsaszálam?”) wird im Deutschen mit der Aufforderung “sprich” verbunden. Dieses Verb treibt an, das lyrische Ich ist schon ungeduldig, erwartet eine baldige Antwort, eine Bestätigung. Deshalb steht das Verb im Imperativ.
“Ich lieb` dich allezeit,” (“Én ugyan szeretlek,”) enthält erneut eine kleine Abweichung vom Originaltext. Im Ungarischen steht es statt “allezeit” “ugyan” (~wohl, zwar, auch). Diese “ugyan” – Struktur ist natürlicher, “allezeit” klingt viel ernster, stabiler, als ob es sich um einen Schwur handelt.
“Wie Vater, Mutter dich/ Nicht lieben allebeid.” (“Apád-anyád nálam/ jobban nem szerethet.”), diese letzten zwei Verse sind in mancherlei Hinsicht der ungarischen Fassung unähnlich. Im Ungarischen wird hervorgehoben, dass der Sprecher die Geliebte besser/ stärker lieben kann. Melzl betonte aber dieParallele elterliche Liebe – männliche Liebe nicht so sehr. Das Adverb “allezeit” besitzt einen entsprechenden Nachdruck, so dass weitere stilistische Mittel für die Hervorhebung des Gedankens nicht mehr nötig sind. Mit “allebeid” (das insgesamt Vaterliebe und Mutterliebe bedeutet) als Zusammenfassung, Steigerung der elterlichen Liebe verbindet er die mit “allezeit” begonnene Liebesversprechung. “Allebeid” wirkt wie die Krönung von “allezeit”.
- Strophe
Die ersten zwei Verse unterscheiden sich wenigen von der Originalfassung.
“Ich weiss, du warst mir gut,
Als wir zuletzt uns sah`n;”
“Mikor együtt voltunk,
Tudom, hogy szerettél.”
Im Ungarischen ist die Aussage des Dichters bestimmter. (Als wir zusammen waren, weiss ich, dass du mich geliebt hast.) Es gibt eine kleine Abweichung bei “uns sah” und “együtt voltunk” (zusammen waren), da “együtt voltunk” im Zeitablauf ausgedehnter ist. “Du warst mir gut” ist auch milder in der Stimmung als “szerettél” (du hast mich geliebt). Die konkrete, öffentlich bekundete Liebe einer Person ist greifbarer und gesicherter als die verbal geäußerte Zuneigung.
In den Versen “Da war noch warmer Lenz, / Jetzt will der Winter nahn,” verwendet Melzl den poetischen Begriff “Lenz” (Frühling) anstelle des Sommers. (“Akkor meleg nyár volt,”). Seine Wahl ist treffend, da Frühling/Lenz auch Liebe, Sicherheit und Wärme symbolisiert und im Deutschen klingt poetischer als Sommer. In Meltzls Variante “will der Winter nahn”, während bei Petőfi “Most tél van, hideg tél” jetzt schon Winter, kalter Winter ist. Petőfi legt das Gewicht auf den anderen Pol der Antithese, er wiederholt sogar “Winter” für die Hervorhebung der gegenwärtigen Zeitebene.
“Liebst du mich nicht mehr, sei
Gesegnet, Mägdlein, ach!
Liebst du mich noch – dann sei
Gesegnet tausendfach!”
“Hogyha már nem szeretsz,
Az isten áldjon meg,
De ha még szeretsz, úgy
Ezerszer áldjon meg!”
Der Segen des Dichters ist in der Originalfassung stärker als im übersetzten Text. Petőfis Segen ist mit der Erscheinung des Gottesnamens hehrer, himmlischer. Seine Liebe ist auch bedingungslos wie die elterliche Liebe. Die Interjektion “ach” gibt es in Petőfis Gedicht nicht, Meltzl ergänzt den Vers mit diesem um des Reimes willen. Damit ist das letzte Wort des Gedichtes akzentuiert “tausendfach”.
Im ungarischen Text “De ha még szeretsz, úgy” bekommt das Adverb “úgy” (so) eine zentrale Funktion (wenn du mich noch so liebst). Im deutschen Text ist die Anwesenheit von “so” nicht mehr zu merken.
Meltzl muss wegen des Baus der deutschen Sprache Veränderungen machen, aber diese passen zur originalen Stimmung des Gedichtes. An den Stellen, bei denen er aus der Stimmung der Wörter (z. B. eine abgemilderte Darstellung einzelner Begriffe) etwas wegnimmt, fügt er dann eine erwartete oder intensivere Atmosphäre hinzu. Die in seiner Übertragung benutzten Wörter harmonieren nicht nur mit dem Originaltext sondern auch mit dem deutschen Gesamttext. Die Übersetzung ist Poesie, da sie von einer eigentümlichen Kombination beider Sprachen lebt.
2.1. Die Metrik
Das deutsche metrische System beruht auf dem von Martin Opitz begründeten System, das die Silben der Sätze nach ihrem Akzentgewicht in Reihen gleicher Elemente (den Versfüssen) ordnet und diese Reihen durch einen partiellen Gleichklang am Ende (den Endreim) zu verbinden trachtet. Im Unterschied jedoch zur Dichtung der Antike, in der die Silben nach ihrer Dauer gemessen werden, soll man im Deutschen aus den Akzenten erkennen, welche Silbe in die Senkung und welche in die Hebung eines Fusses gehört.[9]
Im Falle des Gedichtes “Der Strauch erzittert, denn…” handelt es sich um dreihebige Jamben.
Der Strauch erzittert, denn
v – / v – / v -/
Ein Vöglein setzt sich hin:
v – / v – / v – /
2.2. Der Reim
Die deutsche Fassung bewahrt den im Originaltext vorhandenen Kreuzreim (a-b-a-b-a-b-c-b).
2.3. Zusammenfassung
Der Übersetzer Melzl versucht in fast jeder Hinsicht sich nicht vom Originalgedicht zu entfernen. Die ungarische Poesie bildet den Keim seiner Übersetzung, er hält sich an die Individualität des Gedichtes, aber zugleich ergänzt er diese nach dem deutschen Geschmack.
3. Literatur
Textvorlagen
Dr. Brassai Sámuel, Dr. Hugo Melzl: Zeitschrift für vergleichende Literatur.1877, Bd. 2, S. 251.
Petőfi Sándor: Összes költeményei. Budapest: Szépirodalmi Könyvkiadó 1953, , Bd. 1, S. 557.
Literatur
Gáldi László: Ismerjük meg a versformákat. Budapest: Gondolat 1961, S. 7-42.
Kozma Dezső: Petőfi öröksége. Két tanulmány. Bukarest: Kriterion 1976, S. 7-30.
Dr. Melzl Hugo: Zeitschrift für vergleichende Literatur. 1887, Bd. 2, Nr. 1-2, S. 11.
Pándi Pál: Petőfi (A költő útja 1844 végéig). Budapest: Szépirodalmi Könyvkiadó 1961, S. 177-231.
Petőfi Sándor: Összes költeményei. Budapest: Szépirodalmi Könyvkiadó 1953, Bd. 2, S. 501.
Sachlexikon Literatur. Hg. Volker Meid. München: DTV 2000, S. 561-575.
Szerdahelyi István: Verstan mindenkinek. Budapest: Tankönyvkiadó 1994, S. 77-87.
Anmerkungen
[2] Vgl. Pándi Pál: Petőfi. (A költő útja 1844 végéig) Budapest: Szépirodalmi Könyvkiadó 1961, S. 177-231.
[4] Dr. Brassai Sámuel, Dr. Melzl, Hugo: Zeitschrift für vergleichende Literatur. 1877, Bd. 2, S. 251.
[9] Vgl. Sachlexikon Literatur. Hg. Volker Meid, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2000. S. 561-575