Valentina Sandu-Dediu
1944-1965: Musik und Politik in rumänien
Die Nachkriegszeit, in der die Rote Armee die Etablierung kommunistischer Regimes unterstützte, bedeutete für viele osteuropäische Länder einen heftigen Bruch mit den kulturellen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Traditionen der vorherigen Periode. Der Einfluss der politischen Ereignisse auf die Kultur blieb unvermeidlich und prägte das kulturelle Leben hinter dem Eisernen Vorhang mit spezifischen gemeinsamen Merkmalen – jenseits von sprachlichen, volkstümlichen, kulturellen und religiösen Traditionsunterschieden. Ein Rumäne, der beispielsweise Milan Kunderas Romane liest, hat dabei das Gefühl, ähnliche Episoden bereits selbst erlebt zu haben; auch gleichen die Umstände, unter welchen Schostakowitsch oder Prokofjew ihre Musik schrieben, denen der rumänischen Komponisten nach 1958.
Nach 1945 implementierte Moskau ein Kultursystem, dessen einschlägige Richtlinien alle Formen der Kunst und Literatur staatspolitisch instrumentalisierten. Die Autonomie der Kunst und der Formalismus galten als häretische Konzepte, gefährlich für denjenigen, der sie vertrat, denn die Kunst sollte nun dem Schaffen des “neuen Menschen“ dienen (d.h. beispielsweise die Bauern davon überzeugen, mit Begeisterung die Kollektivierung zu akzeptieren, oder die Notwendigkeit der Industrialisierung legitimieren). Die Botschaft eines musikalischen Kunstwerkes sollte klar und tonal sein, sie sollte den breiten Massen der Arbeiter zugänglich sein und sie mobilisieren, und sie hatte mit der Doktrin des Sozialistischen Realismus überein zu stimmen. Auch darin folgte sie der bekannten stalinistischen Losung: “Die Schriftsteller sind Ingenieure der menschlichen Seele“. Seit 1932 wurde der in Moskau von Stalin verkündete und zeitweise von Maxim Gorki unterstützte Sozialistische Realismus (ein Hybride des klassischen Realismus des XIX.Jahrhunderts und der revolutionären Ideologie des Proletariats) in den osteuropäischen Länder “angewandt“, intensiv diskutiert und offiziell gewürdigt. Auch im Westen fand er noch so lange Anhänger (Jean-Paul Sartre, Paul Eluard, Luigi Nono u.a.), wie es über die stalinistische Praxis keine Aufklärung gab. Im Gegensatz dazu standen Modernität und Avantgarde, welche als “dekadent“, “unmenschlich“, “spalterisch“ geschmäht wurden. Dieser ideologische Manichäismus unterschied deutlich eine bürgerliche Kunst (dem Kapital unterworfen, dekadent) und eine proletarische Kunst (menschlich, fortschrittlich).
Nicht nur wichtige Werke von Weltrang (von Marcel Proust bis Arnold Schönberg, von James Joyce bis Olivier Messiaen) waren verboten und vom öffentlichen Raum ausgeschlossen, sondern der Gegensatz “dekadent/ sozialistisch-realistisch“ wurde von manchen rumänischen Künstler und Schriftstellern regelrecht verinnerlicht und prägte einzelne Werke (die Absurdität der Folgen müssen wir nicht erst erwähnen). So wurden zahlreiche rumänische Intellektuelle “enttarnt“, inkriminiert und zensiert, gelegentlich auch verurteilt und verhaftet, vor allem diejenigen, die es nicht verstanden, Selbstkritik zu üben und Kompromisse einzugehen.
Auch unter den rumänischen Komponisten gibt es dafür konkrete Beispiele, wenngleich nicht so zahlreich und auffällig wie in der rumänischen Literatur und Philosophie (wo die Dissidenz stärker war). Dies mag auch daran liegen, dass in der Tonsprache die offiziell vorgegebene Linie leichter zu vermeiden war. Die der Musik eigene Abstraktheit bot so Fluchtwege aus dem Sozialistischen Realismus, die zwar verdächtigt, jedoch nicht direkt verurteilt werden konnten.
Bevor ich aber zu diesen Beispielen komme, will ich mich zuerst den allgemeinen Kontext der rumänischen Komposition und die Einstellung der Musiker seit 1949 ansehen. Diejenige Institution, die diesbezüglich ausreichend Daten liefern kann, ist die Gesellschaft der Rumänischen Komponisten (GRK), nach 1949 der Komponistenverband der Rumänischen Volksrepublik (nach sowjetischem Muster)[i]. Hier trafen sich rumänische Komponisten und Theoretiker bei musikalischen Zusammenkünften, Konzerten oder Sitzungen der einzelnen Abteilungen (wie z.B. derjenigen für Kammer- und Symphonische Musik, Chormusik, Blasorchestermusik oder Musikwissenschaft), um die jüngsten Schöpfungen der einzelnen Gattungen zu kommentieren, zu analysieren oder zu kritisieren. Übrigens ist bis heute der Hauptzweck dieser Institution die Förderung neuer rumänischer Musik (lediglich die Vergabe der Autorenrechte obliegt seit den 90-er Jahren einer vom Komponistenverband getrennten Vereinigung). Auch die jahrzehntelange ideologische Zensur und die Verwandlung der erwähnten “Förderung“ in eine Brutstätte des Massenlieds, das der kommunistischen Partei und ihrem Führer huldigte, gehört zur rumänischen Musikgeschichte der letzten 50 Jahre. Glücklicherweise ist das nicht alles.
1944 bis 1954 – Übergang, Konsolidierung und ideologischer Zwang
Betrachten wir zunächst die Übergangszeit nach dem Krieg, in der sich tragische Strukturveränderungen der rumänischen Gesellschaft vollziehen sollten. Wenn bis zum Ende des Krieges noch zwei prominente Persönlichkeiten wie George Enescu (Präsident) und Constantin Brãiloiu (Sekretär) die Gesellschaft der Rumänischen Komponisten leiteten, so verließen beide in Folge der politischen Veränderungen endgültig das Land (wie es auch andere bedeutende Intellektuelle taten): Brãiloiu 1944, indem er nach Genf fuhr, wo er die Internationalen Archive für Folklore begründete, und Enescu 1946, als er nach einer Tournee in die USA in Frankreich blieb.
Schon seit Ende des Jahres 1944 beginnt die Konstituierung von “Säuberungskommissionen“, die in allen Bereichen des öffentlichen Lebens (einschließlich dem musikalischen) den Ausschluss der politischen Gegner anstrebten: als solche galten entweder “Vertreter der ausbeutenden Klassen“, oder “Kollaborateure“ mit der faschistischen Armee sowie ehemalige Legionäre. Mit unbegründeten und unkontrollierten Anklagen begann eine Periode voller Unrecht und persönlicher Rache. Welche Formen nahmen diese Verfolgungen an?
Zunächst die Kündigung von Angestellten, z.B. Ionel Perlea: der Komponist und Dirigent wurde von seiner Mitgliedschaft in der Gesellschaft der Rumänischen Komponisten suspendiert, nachdem er 1949 emigrierte; er kehrte schließlich nie mehr nach Rumänien zurück. Außerdem beraubte man die Menschen ihrer Existenzgrundlagen und ihres Wohnraums (in Häuser und Wohnungen wurden zwangsweise zahlreiche Mieter einquartiert – eine Situation, die jahrzehntelang andauern sollte). Schließlich gab es sogar Verhaftungen. Davon waren Musiker zwar weniger betroffen als Philologen und Philosophen, zwei Fälle wurden dennoch bekannt: Dimitrie Cuclin sympathisierte mit den „Legionären“. Unter dem Vorwand, er höre als Gast westlicher diplomatischer Vertretungen in Bukarest Musik von Wagner und Bach, wurde er zur Zwangsarbeit beim Bau des Donau-Schwarzmeer-Kanals verurteilt. Der andere war der Ethnologe Harry Brauner, ursprünglich Kommunist, der jedoch Ende der 40-er Jahre zum Dissidenten wurde. Zusammen mit seiner Frau, der Graphikerin Lena Constante, wurde Brauner als Mitglied der Gruppierung um Lucreţiu Pătrăşcanu verhaftet.
Für die Komponisten bedeutete die Übergangsperiode zwischen 1944 und 1949 eine Zeit voller Ungewissheit, in der einige Kompromisse eingingen, andere auf der sozialen Leiter blitzartig emporstiegen, noch andere wiederum ihre Positionen standhaft hielten, um schließlich doch schrittweise beiseitigt, angeklagt oder sogar verfolgt zu werden.
Zwei Extremfälle sind erwähnenswert. Zuerst der von Matei Socor, armenisch-jüdischer Abstammung, seit den 30-er Jahren kommunistischer Aktivist in der Illegalität, 1940 (wegen seiner antifaschistischen Überzeugungen) in einem Lager inhaftiert und 1943 freigelassen, nachdem die Leitung der GRK (Enescu, insbesondere aber Mihail Jora), bei den Machthabern vorstellig geworden war, um “einen jungen, sehr begabten Komponisten“ [ii] aus dem Gefängnis zu retten. Tatsächlich gehörte Matei Socor in der Zwischenkriegszeit durch sein Interesse für die Zwölftontechnik und die Musik Hindemiths (er studierte in Deutschland) zur musikalischen Avantgarde und bewies kompositorisches Talent. Sein politischer Aufstieg nach 1944 war spektakulär: er bekleidete hohe Posten im Rundfunk und war ab 1949 Präsident des Komponistenverbandes. Seitdem bewegte sich seine Musik streng und beispielgebend innerhalb der Grenzen des Sozialistischen Realismus. Interessant ist seine späte kompositorische Entwicklung, die in den 70-er Jahren einsetzt: weit entfernt von politischen Schlüsselpositionen im Ceauşescu-Regime, entdeckte er seine ästhetische Vergangenheit “wieder“ und kehrte zu einer Moderne der Chromatik, der fortgeschrittenen Strukturen zurück. Ein Vergleich der Entwicklung Matei Socors in der Nachkriegszeit mit der Hanns Eislers geht in dieselbe Richtung, von der avantgardistischen Zwölftontechnik zur politisch engagierten Tonalität.
Der andere Fall ist Mihail Jora, neben Enescu vielleicht der prominenteste Komponist der Zwischenkriegszeit. Jora wurde (nach Brãiloius Abreise) von 1944 bis 1949 Vizepräsident der GRK, während Enescu nur ehrenamtlich den Präsidentenposten innehatte. In dieser Funktion bewahrte er im Rahmen des Möglichen die Unabhängigkeit der Institution gegenüber der Parteiführung. Seine entschlossene Einstellung machte ihn – als “dekadent“ und “reaktionär“ beurteilt – zur Zielscheibe der offiziellen Kritik und brachte ihm vonseiten der Presse den Vorwurf des “Formalismus“ ein; schrittweise wurde er aus der Leitung des Verbandes und der Königlichen Musikakademie gedrängt, deren Rektor er war[iii]. Er wurde marginalisiert, eine Zeit lang ohne Existenzgrundlage belassen, isoliert und schließlich allmählich wieder rehabilitiert. Die im Schaffen Joras auftretende ästhetische Konsequenz machte sich in einer gehobenen Art des Neoklassizismus bemerkbar, welcher beispielsweise expressionistische Einflüsse nicht ausschloss.
Es ließen sich weitere Beispiele für eine moralische Haltung anführen, sei es von schon allgemein anerkannten Komponisten – mit verschiedenen Abstufungen der eingegangenen Kompromisse – oder von jungen, deren Karrieren in jenen Jahren von ihrer politischen Zugehörigkeit und vom Abschluss der Studien in den Sowjetunion abhängig waren (in den 50-er Jahren Komponisten wie Anatol Vieru, Theodor Grigoriu, Dumitru Bughici, Tiberiu Olah).
Im Oktober 1947 proklamierte der Kongress des Gewerkschaftsbundes den Sozialistischen Realismus als einzige Schaffensmethode. Demzufolge initiierte die GRK Gespräche über Musik als ideologische Waffe, die zur Bildung der Massen beitragen sollten. Die Diskussionen wurden schließlich absurd, als man Kriterien zu bestimmen versuchte, welche Musik als fortschrittlich oder dekadent zu klassifizieren wäre (z.B. würde die Neigung zur Traurigkeit zur Dekadenz führen …)[iv]. Jedenfalls wurde kein musikalisches Schaffen außerhalb der ideologischen Linie zugelassen, und wer behauptete, er würde keine Politik machen, täuschte sich.
Es folgte die Resolution des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion über Probleme der Musik vom 10. Februar 1948. Sie wurde sowohl in der rumänischen Presse als auch in den Sitzungen der GRK heftig diskutiert: man erfand eine Theorie der “Vereinfachung“ der Musik und verglich die Rolle, die die Partei bei der Bekämpfung der technischen Übertreibung und des “Elitären“ spielte, mit derjenigen der Kirche in der Blütezeit der vokalen Polyphonie der Renaissance (!); man strebte eine allen zugängliche Musik an[v]. Demzufolge hätten die Komponisten nicht nur Neues zu lernen, sondern auch viele Techniken wieder zu “verlernen“, die sie sich vor dem 23. August angeeignet hatten.
Die sowjetische Resolution bildete gleichsam den Kern einer ideologischen Offensive gegen die rumänischen Komponisten, die sich im Laufe des Jahres 1949 noch verschärfen sollte. Außerdem galten plötzlich sämtliche rumänischen Musiker im Exil als “Faschisten“ und standen im krassen Gegensatz zur Linie der Massenlieder mit den tonalen, vereinfachenden Melodien des Sozialistischen Realismus oder der vokal-symphonischen Werke von Matei Socor, Alfred Mendelssohn, Hilda Jerea und anderen.
All diese diffusen Ereignisse im rumänischen Musikleben der Nachkriegsjahre sollten schließlich dazu führen, dass sich der organisatorische Rahmen des künstlerischen Schaffens radikal verwandelte und die ideologischen Richtlinien endgültig festgelegt wurden. Die Generalversammlung der Komponisten (1949) war politisch manipuliert, beginnend mit unterschiedlichen Formulierungen bei der Einladung von Teilnehmern (mit oder ohne Wahlrecht) bis hin zur Aufstellung der neuen Leitung und zur Reform der Gesellschaft, die von nun an Komponistenverband der Rumänischen Volksrepublik hieß, auf sowjetischer Basis. In diesem Zusammenhang behandele ich die Veränderungen innerhalb des Verbandes so intensiv, weil es außer diesem in Rumänien praktisch keine Komponistenvereinigung gab: sogar Komponisten, die keine Mitglieder waren bzw. Kompositionsstudenten, mussten, sobald sie in einem Konzertprogramm auftauchten, ihr Werk der jeweiligen Abteilung des Verbandes vorstellen, um zumindest die Kennzeichnung “Geeignet zur Aufführung“ zu erlangen, sonst wurde es verboten. Auf diese Art und Weise war die ideologische Zensur unter der Maske professioneller Kontrolle ständig präsent, weswegen auch die Machthaber darauf achteten, die Leitung der verschiedenen Künstlerverbände (wie der Schriftsteller, der bildenden Künstler, der Architekten, der Theater- und Filmschaffenden) stets gehorsamen Personen zu übertragen. Ich werde später noch auf die Funktionsweise der einzelnen Abteilungen der Institution zurückkommen; an dieser Stelle soll nur festgehalten werden, dass die professionelle Kontrolle später nicht mehr eine quasi ideologische Zensur sein, sondern tatsächlich eine positive Funktion erfüllen wird.
Vorläufig prägten die ideologischen Richtlinien der rumänischen Musik die öffentliche Haltung, die Berichte und Diskurse von Matei Socor, der zwischen 1949 und 1954 als Präsident der Komponisten amtierte. Die Opposition gegenüber der westlichen Musik kritisierte in erster Linie die Anhänger Arnold Schönbergs, indem sie ihnen Dekadenz vorwarf: “Die Atonalität ist formalistisch, leugnet die Melodie, die Natur, die menschliche Seele und schlägt zufällige, mechanische und kakophone Klangkombinationen an“[vi]; die Monodram Erwartung verbreite Pessimismus, der Sprechgesang sei die “hysterische Deklamation eines Mondsüchtigen“. Paul Hindemith und Olivier Messiaen würden dem Mystizismus huldigen. Demgegenüber lobte man die sozialistische Kultur sowie die Prinzipien Schdanovs aus der Sowjetischen Resolution über Probleme der Musik. Die rumänische musikalische Tradition betrachtete man aus einer verzerrten Sicht. Ein mittelmäßiger romantischer Komponist wie Ciprian Porumbescu wurde (für seine “Verbindung mit den Volksmassen“) geschätzt, während andere, in den dekadenten (deutschen, französischen) Schulen des Westens ausgebildete rumänische Komponisten, einschließlich Socor, der auch Selbstkritik übte, inkriminiert wurden. Kosmopolitische, akademische und formalistische Aspekte im Schaffen der Komponisten der Zwischenkriegszeit wurden angeprangert, ebenso Werke, welche mythologisch-exotische Themen behandelten, anstatt die großen Figuren der rumänischen Geschichte musikalisch zu illustrieren. Demzufolge ermutigte man die Komponisten, sich an der Folklore zu orientieren, dies jedoch unter dem Vorbehalt eines neuen sozialistischen Inhalts, der allgemein zugänglich sein und auf keinem Fall der bürgerlichen Losung “l’art pour l’art“ folgen sollte.
Wie wurden all diese ideologischen Richtlinien praktisch umgesetzt? Durch eine Zensur des musikalischen und musikwissenschaftlichen Schaffens, die über die Kommissionen des Komponisten-Verbandes erfolgte; durch eine Simplizität (synonym mit “Zugänglichkeit“), die das Dekorative, das Eklektische und das Folkloristische begünstigte; durch eine (insbesondere finanzielle) Ermutigung der Partei, Hymnen zu komponieren, die Stalin, Lenin oder (in geringerem Ausmaß) dem rumänischen Führer Gheorghe Gheorghiu-Dej gewidmet waren; durch die Überprüfung der Verbandsmitglieder, indem man ein sogenanntes “Dossier des Angestellten“ führte, das Daten über die soziale Herkunft, die politische Vergangenheit, die Einstellung gegenüber der kommunistischen Partei beinhaltete; schließlich durch die Aufhebung der Mitgliedschaft aller rumänischer Komponisten (einschließlich Enescus!), welche im Ausland lebten.
Der politische Aufstieg und die Präsidentschaft Matei Socors fielen in die stalinistische Periode: Stalin starb 1953 und 1954 wurde Matei Socor aus der Leitung des Verbandes entfernt – dies ergab sich logisch aus den Veränderungen der rumänischen Gesellschaft jener Zeit. Vor allem die Verfestigung des Proletkults und die Betonung der “politisch engagierten“ Musik prägten damals die Existenzgrundlage der rumänischen Komponisten. 1952 beispielsweise entwarf Matei Socor nach dem Muster der sowjetischen Resolution eine Art “einheimische“ Verfassung des Komponistenverbandes, die alle – Musiklehrer und Rundfunkanstalten eingeschlossen – verpflichtete, die allgemeinen Prinzipien der marxistisch-leninistischen Ästhetik anzuwenden. Das von Socor unterzeichnete Dokument “Über die Entwicklung der Musik in der Rumänischen Volksrepublik“ beinhaltete auch die Erklärung und die Implementierung des Sozialistischen Realismus, vorrangig in der Programm-Musik (als gelungene Beispiele wurden Massenlieder über Partei, Heimat, Republik, Arbeit, Frieden usw. angeführt). Scharf kritisiert wurde die imperialistische Ideologie, die Folklore umzuformen (die Folklore sollte “zugänglich“ sein, harmonisiert und eventuell in rhapsodischen Formen bearbeitet); westlich beeinflusste ästhetische Konzeptionen galten als negative Beispiele.
Die Vorwürfe des Kosmopolitismus und des Nationalismus, des Formalismus und des Impressionismus, der Atonalität und des Mystizismus beruhten im Grunde auf unklaren Kriterien: beispielsweise wurde Constantin Silvestri als atonaler Komponist klassifiziert, was seiner Harmonie-Auffassung nicht entsprach (diese war zwar stark chromatisch, jedoch verankert im Funktionalen und Modalen).
Die Diskussionen kreisten vor allem um die Programm-Musik, praktisch die einzige ideologisch leicht kontrollierbare Gattung. Deshalb förderte die offizielle Seite immer wieder jene programmatischen Werke, deren Titel “die Realität des neuen Menschen“ widerspiegeln sollten. Silvestri hatte aus dem abstrakten Charakter der Musik einmal gefolgert: “Wir sollen von der Musik keine Präzision verlangen und in dieser Kunst keine klar gezeichneten Bilder wie in der Literatur oder Plastik suchen“[vii]. Diese Losung gewann für Generationen von Komponisten an Bedeutung, die der Zensur von Werken mit avantgardistischen Techniken durch zufriedenstellende Titel (wie z.B. “Kantate für den Frieden“) entgehen konnten.
Ein anderer – positiver – Aspekt dieser Jahre war die starke Präsenz rumänischer Musik in den Konzertprogrammen des Landes, im Repertoire der ungefähr 20 symphonischen Orchester und Philharmonien. Noch bis 1989 waren diese verpflichtet, rumänische, insbesondere zeitgenössische Musik in ihre Programme aufzunehmen. 1951 wurde das Festival Die Woche der rumänischen Musik gegründet, bei der zwar überwiegend politische Werke aufgeführt wurden, aber auch wichtige, wirklich moderne Schöpfungen. Allerdings wurden letztere in der zeitgenössischen Presse kritisiert, und es gastierten nur Musiker aus den Volksdemokratien (Sowjetunion, China, Ungarn, Tschechoslowakei, Bulgarien, DDR, Polen).
Zieht man nun die Bilanz von zehn Jahren rumänischer Musik, dann zeigt der Vergleich mit der Vergangenheit (der Zwischenkriegszeit), dass die neu komponierten Werke nur quantitativ überwiegen, jedoch nicht qualitativ. Die Komponistengeneration der Zwischenkriegszeit, die einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung der modernen Schule geleistet hatte, wurde jetzt ins Abseits gedrängt, die wichtigsten Partituren wurden entweder heftig kritisiert oder ignoriert – dies ermutigte die Komponisten nicht gerade zu weiterem Schaffen, das durch die allgemeine Unsicherheit jener Zeit zusätzlich erschwert wurde. Nur sehr wenige schrieben ideologische Werke (Massenlieder, Oratorien, Kantaten). Sie zeigen, wie sehr sich die neuen, aufstrebenden Komponisten der Doktrin des Sozialistischen Realismus anpassten. Eine neuerliche Analyse und Beurteilung dieser Werke wäre nicht uninteressant; denn die Partituren zeugen selten von der Beherrschung einer sicheren Kompositionstechnik und man kann in der Analyse möglicherweise bestimmte Werthierarchien zeigen, da die Parameter dieser Musik extrem einfach sind: tonal-diatonische Harmonie, einfache Formen, bewegende Melodien. Man könnte die Autoren auch verschiedenen Gruppen zuordnen: sogenannte “Komponisten“, von denen man später nichts mehr hörte; mittelmäßige; widersprüchliche (wie Socor) oder begabte Komponisten, die sich in der Jugend der offiziellen Ideologie untergeordnet haben (Anatol Vieru, Theodor Grigoriu).
1954 bis 1965: Aufstieg einer neuen Komponistengeneration
Für die rumänische Kultur bedeutete das Ende der stalinistischen Periode nur den Abschluss einer gewaltsamen und aggressiven Phase ideologischen Drucks. Nach 1954 war die kommunistische Struktur der rumänischen Gesellschaft – im Großen und Ganzen – verfestigt, und im Laufe der folgenden Jahrzehnte waren Momente von (täuschender) Liberalisierung im Wechsel mit verschärfter Repression zu beobachten. Im Verhältnis zu anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang zeigte sich in Rumänien der kommunistische Totalitarismus im Allgemeinen jedoch schärfer. So war z.B. in Polen die Gründung eines berühmten internationalen Festivals – der Warschauer Herbst 1957 – möglich und erlaubt; es rückte polnische Komponisten ins Licht der europäischen Avantgarde. Dagegen wurde den rumänischen Komponisten sogar die Teilnahme an diesem Festival eine Zeit lang verboten, obwohl es im Ostblock stattfand.
Auch wenn sich die Leitung des Komponistenverbandes und dessen innere Organisation änderten (von 1954 bis 1977 war Ion Dumitrescu Präsident) – die politische Grundlagen und das ideologische Substrat des Sozialistischen Realismus nach sowjetischem Muster blieben gleich. Die politischen Dokumente, bis jetzt vorbehaltlos akzeptiert (insbesondere diejenigen Matei Socors), wurden nun nuanciert kritisiert und Socor selbst aufgrund seines “Simplizismus und schädlichen Akademismus“[viii] als schlechtes Beispiel dargestellt. Ebenfalls wurde die von Socor abgefasste “Schdanowsche Resolution“ sowie seine Haltung als Leiter der Institution in der Presse angegriffen. Andererseits wurden verschiedene Komponisten auch rehabilitiert: Mihail Jora wurde bereits 1953 wieder in den Verband aufgenommen und nahm ab dann immer öfter an dessen musikalischen Ereignissen aktiv teil; auch die im Ausland lebenden Komponisten wurden wieder als Mitglieder anerkannt (Enescu, Marcel Mihalovici, Stan Golestan). Nicht zuletzt war dies eine Auswirkung der scheinbaren Demokratisierung; sie setzte nach Stalins Tod ein, als man ihn und seinen Personenkult zunehmend kritisierte, und sie durchdrang allmählich die ganze rumänische Gesellschaft.
Man spürte 1954 zunächst einen frischen Wind im Leben der Komponisten. Aufgrund von Missständen in der Verwaltung, vor allem jedoch wegen politischer Machenschaften wurde Socor aus der Leitung des Verbandes entlassen und durch Ion Dumitrescu ersetzt. Dumitrescu wollte keine große musikalische Karriere machen und war ein guter Organisator. Er betrieb eine besondere Art kommunistischer Politik: keine Parteimitglieder in verantwortungsvollen Positionen. Sein Wirken wurde in erster Linie von einer politischen Konjunktur begünstigt, die sich ständig und oft überraschend veränderte.
Wenn auch differenzierter als diejenigen Matei Socors, die Diskurse des neuen Leiters der Komponisten, Ion Dumitrescu, veränderten sich kaum und basierten auf der selben ideologischen Grundlage, die von seinen eigenen ästhetischen Überzeugungen getragen wurde (als traditionsgebundener Komponist schrieb er in klassizistisch-romantischen Formen und verwandte eine von rumänisch-folkloristischen Elementen gefärbte, tonale Sprache).
Kennt man Dumitrescus Überzeugungen, ist es nicht verwunderlich, dass er am Ende der 50-er Jahre mit einem Teil der jungen Komponistengeneration in Konflikt geriet. Das Interesse dieser jungen Komponisten galt in erster Linie der “neuen Musik“ des XX. Jahrhunderts, oder anders ausgedrückt, der Moderne, der Avantgarde und den tiefengreifenden Erneuerungen der musikalischen Sprache und des Denkens. Myriam Marbe, Pascal Bentoiu, Doru Popovici, Tiberiu Olah, Aurel Stroe, Wilhelm Georg Berger, Dan Constantinescu, Ştefan Niculescu, Mircea Istrate, Adrian Ratiu u.a. waren ab 1953 bis zum Ende des Jahrzehnts Mitglieder des Komponistenverbandes. Eine Verallgemeinerung ihrer – übrigens sehr vielschichtigen – ästhetischen Haltungen wäre unseriös: einige standen in deutlicher Kontinuität zur neoklassischen Tradition, andere interessierten sich mehr für die Innovationen der Zwölftontechnik der Zweiten Wiener Schule; beide Richtungen brachten wertvolle Partituren hervor. Daher sei in diesem Kontext nur angemerkt, dass z. B. auch die chromatische Musik, die auf die Zwölftontechnik der Zweiten Wiener Schule hindeutete, offiziell von der Leitung des Verbandes verboten wurde. Wenn Verbandsmitglieder Werke dieser Gattungen vorstellten, hatte die Kommission für Symphonische Musik und Kammermusik über die Veröffentlichung und die Entlohnung jener Arbeiten zu entscheiden.
Ştefan Niculescu erzählt von der Einstellung der Kommission: “Im Allgemeinen wurden Werke mit ‘Spuren’ vom klassisch-dodekaphonen System – dem einzigen, das der Kommission einigermaßen bekannt war – heftig abgelehnt. Zur Ermittlung einer solchen ‘Todsünde’ zählte die Kommission bloß die chromatischen Töne einer melodischen Linie, und wenn das Ergebnis 12 war, wurde die Partitur mit der schwer wiegenden Anklage des Formalismus stigmatisiert. Der Unterschied zwischen Dodekaphonie und Serialismus war noch nicht bekannt; für viele bezeichneten die beiden Termini ein und dieselbe Sache.“[ix]
Um verständlich zu machen, welche Bedeutung die Meinungen der Verbandskommissionen hatte, muss man kurz deren Arbeitsweise beschreiben. 1954 unterteilte Ion Dumitrescu die Abteilungen in die Gruppen “Symphonische Musik und Kammermusik“, “Leichte- und Massenmusik“ [x] und “Musikwissenschaft“, wobei jede Gruppe eine Leitungskommission besaß, die hauptsächlich aus berühmten Musikern – Vertreter der älteren Generationen – bestand. Hinsichtlich der tonsprachlichen Änderungen war die Sektion für Symphonische Musik und Kammermusik die wichtigste (sie kommentierte auch Werke, die zur Gattung ‚Oper‘ gehörten). Die Prozedur dieser Kommission sah folgendermaßen aus: “Eine Partitur wurde zunächst vorgestellt und dann einem oder mehreren Mitgliedern der Kommission zum Rezensieren anvertraut, später wurde sie noch einmal vom Tonband oder am Klavier gehört; schließlich wurde sie im Rahmen (…) der Kommission diskutiert, bis man zu einer Beurteilung des Werkes kam und dieses in das Register der Niederschriften eintrug, im günstigsten Fall mit der Empfehlung zur Aufführung, zum Ankauf oder zur Veröffentlichung, wobei diese drei Faktoren nicht immer vorkamen und schon gar nicht verbindlich waren.“[xi]
Obwohl dies keine politische, sondern eine ästhetische Zensur war, hatte diese Praxis unangenehme Folgen – sie traf die jungen Komponisten auf finanzieller Ebene. Obwohl die Zensur deren Werke nicht abgelehnte, wurden sie in der Rubrik “Ankauf“ mit den niedrigsten Tarifen honoriert. Andererseits waren die Mitglieder der Abteilung für Chormusik) dazu verpflichtet, patriotische Lieder für verschiedene offizielle Gelegenheiten zu schreiben (die “Massenmusik“ wurde übrigens mit dem Gattungsbegriff “Chormusik“ etikettiert und von der “leichten“ Musik getrennt). Selbstverständlich lässt sich die rumänische Chorgattung nicht auf gelegentliche patriotische Lieder reduzieren. Es gab auch sehr begabte Künstler, die die Chorsprache erneuerten.
Die Rolle der Kommissionen bestand hauptsächlich im Auswählen und Hierarchisieren der Partituren, aber auch in ästhetischen Erläuterungen zu einigen Strömungen. Insbesondere gegenüber der Dodekaphonie ist die Uneinsichtigkeit der Verbandsleitung bis in die 60-er Jahre hinein auffällig.
Dieser Konflikt darf nicht nur als Ausdruck des Generationenkonflikts verstanden werden, denn es gab auch Musiker, die die Avantgardeströmung der Jungen unterstützten wie z. B. Mihail Andricu. In dessen Haus konnte man jene “dekadente“ und “formalistische“ Musik des Westens hören, die in den offiziellen Kursen des Konservatoriums nicht präsent war. Dies war einer der Gründe, warum Andricu vom Verband (1959 bis 1962) ausgeschlossen wurde – als Folge einer “Sitzung“, die eine “schmerzhafte Epoche der Vergangenheit“ darstellte. Man beklagte “(Andricus) sehr bedrohlichen Abweichungen von der bürgerlichen und beruflichen Moral“[xii].
Auch wenn ein Künstler und Lehrer wie Mihail Jora mit den Experimenten der jungen Generation nicht immer einverstanden war, wusste er dennoch die seriellen Errungenschaften zu schätzen; insbesondere wenn es um Partituren ging, die eine sorgfältige künstlerische Arbeitsweise zeigten, wie beispielsweise bei seinem Schüler Dan Constantinescu. In den 50-er Jahren unterstrich die öffentliche Aussage eines anderen Kompositionsprofessors, Leon Klepper, die Ausgewogenheit seiner Position:
“Einige sagen, es sei gut, dass nicht alle Komponisten denselben Stil und dieselbe Harmonisierung pflegen, und es sei auch berechtigt, denn sonst würden wir die Persönlichkeit des Komponisten nicht mehr erkennen. Das andere Extrem, wäre eine so große Mannigfaltigkeit , dass es keine rumänische Schule mehr gäbe. Die Wahrheit liegt in der Mitte, und sie ist eine Sache der Vernunft“. [xiii]
Nach der Rückkehr vom Warschauer Herbst 1957, an dem Klepper nur als Zuhörer teil genommen hatte, stellte er eine – wahrscheinlich nur rhetorische – Frage: warum wurde die rumänische Musik auf diesem Festival nicht durch ihre Exponenten vertreten – entweder durch Partituren der Klassiker wie Enescu, Silvestri, Paul Constantinescu oder durch Werke der jungen Komponistengeneration ? Nach 1954 wurden die Diskussionen rund um das Konzept einer “Nationalschule“ in der musikalischen Presse offener und nuancierter geführt, jedoch ohne einen entscheidenden Einfluss auf die offizielle ideologische Einstellung zu haben. Einige derjenigen, die vorher mit Entschiedenheit und Strenge die Prinzipien des Sozialistischen Realismus verteidigt hatten, pflichteten jetzt einer differenzierten Perspektive bei. Dies ist der Fall beim Ästhetiker George Bãlan. Er betonte die Notwendigkeit des Übergangs vom Rhapsodismus (als Kindheitsphase einer Kultur mit den notwendigen Klischees der melodisch-volkstümlichen Bearbeitungen) zum Symphonismus :
“Jetzt stehen leider nicht die Probleme des Sozialistischen Realismus im Zentrum der Diskussionen über das musikalische Schaffen, sondern diejenigen der nationalen Form, im einfachen Sinn der folkloristischen Reinheit, der Meisterschaft, der formalen Vollkommenheit“[xiv]
Das Jahr 1957 bedeutete den Beginn einer ästhetischen Neuorientierung, die von den Jungen initiiert wurde. Die Signale kamen von zwei Absolventen des Moskauer Konservatoriums, Anatol Vieru und Tiberiu Olah. Es ist interessant, dass die Moskauer Studienjahre bei den beiden Komponisten überhaupt nicht zur Ideologisierung oder kommunistischer Indoktrination führten, sondern zur Aneignung solider Kompositionstechniken, für die die Moskauer Schule berühmt war – wie z.B. in der Klasse Chatschaturjans oder Messners.
Neben Ştefan Niculescu, Myriam Marbe, Dan Constantinescu und Aurel Stroe, standen ihre Namen einige Jahre für eine kompakte und einheitliche Gruppierung, die von denselben Interessen für die neue Musik beherrscht war. Die Mehrheit sah ihre Ursprünge im letzten Werk Enescus: ein Jahr nach dessen Tod, 1956, dirigierte Silvestri die Erstaufführung der Kammersymphonie. Dieses Werk wurde aufgrund seiner Chromatik von einigen konservativen Komponisten als eine Abspaltung von der nationalen Musik betrachtet – als ein Weg, der von der neuen Generation gemieden werden müsse. Andere mit Leidenschaft herangezogene Quellen waren die Musik Bartóks, die Zweite Wiener Schule, Hindemith, Messiaen und Strawinski (soweit ein Einblick in die schwer zu beschaffenden Partituren möglich war).
Es gab im Inneren dieser jungen Gruppe eine Solidarität, die in keiner anderen Generation rumänischer Komponisten anzutreffen war: sämtliche Gruppenmitglieder waren bei allen Werkaufführungen der Kollegen anwesend, sie vertraten eine einheitliche Meinung in den musikalischen Diskussionen des Verbandes, sie experimentierten in bisher unbekanntem Ausmaß mit der Zwölftontechnik, wobei die Mitglieder der Kommission für symphonische Musik nicht mehr die ersten 12 chromatischen Töne der Partitur zählen konnten, usw.. Interessant ist die Stellung des von ihnen angewandten Typus der Zwölftontechnik im internationalen Kontext: er kann eher mit dem Milton Babbitts in den USA verglichen werden als mit dem Integralen Serialismus eines Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen in der europäischen Musik. Das war selbstverständlich eine Reaktion des “Zeitgeistes“ und nicht eine beabsichtigte Synchronisationsstrategie mit weltweiten Strömungen, die in Rumänien praktisch unbekannt waren. Sicher, diese Jungen waren nur sporadisch im Konzertleben vertreten; andererseits wurden sie ermutigt, ihr Verhältnis zur Doktrin des Sozialistischen Realismus zu verbessern, der inzwischen “liberaler“ geworden war, d.h. dass ein breiteres Spektrum von Erscheinungsformen des humanistisch-sozialistischen Inhalts zugelassen war.
Anzumerken ist, dass diese Gruppierung nicht die ganze Generation vertrat: es gab auch Komponisten des selben Alters, die eine andere, von Enescu abgeleitete ästhetische Linie bevorzugten, nämlich den Ausgleich von Alt und Neu, die Symbiose zwischen der internationalen – insbesondere französischen – symphonischen Tradition und den Prinzipien der rumänischen Folklore. Dieser anderen Gruppe gehörten bedeutende Komponisten an, die Ion Dumitrescu, der damalige Leiter des Verbandes, mehr schätzte: Pascal Bentoiu, Wilhelm Georg Berger, Theodor Grigoriu und Dumitru Capoianu. Zwar kann man sie nicht mit einem einzigen stilistischen Etikett versehen (wie z.B. dem Neoklassizismus, dem sie am nächsten zu stehen schienen), doch in ihrer ästhetischen Praxis verfolgten sie konsequent eine gemäßigte Moderne. Man trifft also auch in der rumänischen Musik auf eine ästhetische Haltung, die in diesen Jahren die internationale Musik charakterisierte: die gemäßigte Moderne.
Konkret muss man hier anmerken: die erste Gruppe, die eine “radikale Moderne“ vertrat, fand mehr Anhänger als die zweite Gruppe, die der “gemäßigten Moderne“ folgte. Nicht zuletzt deswegen, weil die nachfolgende junge Generation die Kompositionsklassen von Ştefan Niculescu, Aurel Stroe, Tiberiu Olah, Anatol Vieru, Dan Constantinescu und Myriam Marbe besuchten – sie waren jahrzehntelang Professoren des Lehrstuhls für Komposition in Bukarest.
Von offizieller Seite wurde alles unternommen, um die Musiker daran zu hindern, Kontakte zum Ausland aufzunehmen; dies betrifft nicht nur institutionelle, sondern auch private Beziehungen. Lange Zeit wurde den rumänischen Komponisten die Mitgliedschaft in westlichen Organisationen verwehrt, gleichgültig, ob es um einen einzelnen oder eine Gruppe ging (auch waren die Gebühren ein Hindernis, denn sie mussten mit Devisen bezahlt werden, und die Devisenregelung war extrem restriktiv). Es gab in der Zwischenkriegszeit eine rumänische Sektion der Internationale Gesellschaft der Neuen Musik (IGNM), die aber ab 1948 vorübergehend eingestellt wurde.[xv] 1956 machte die IGNM – damals mit Sitz in Paris- ihrerseits das Angebot, die nationale Sektion wieder zu gründen, und das wurde von rumänischer Seite auch zur Kenntnis genommen; doch der Vorschlag wurde nicht angenommen, weil der Status der IGNM dem Status des Komponistenverbands widersprach. Auch hatte Rumänien damals keine Copyright – Konventionen unterschrieben; konzipiert nach sowjetischen Muster, wurde das Gesetz über die Autorenrechte von 1950 bis 1990 nur innerhalb des Landes angewandt und machte Beziehungen zum Ausland zumindest schwierig, wenn auch nicht unmöglich. Jenseits der Grenzen war die Werbung für rumänische Musik faktisch gleich null, und auf den Auslands-Tourneen rumänischer Ensembles wurden keine bedeutenden Werke präsentiert. Umgekehrt konnte man in Rumänien keine Partituren, musikwissenschaftliche Bücher und Schallplatten aus dem Westen kaufen, und der Zugang zu Informationen war soweit wie möglich unterbunden. Als in den 60-er Jahren ein Vertreter des Schott-Verlages nach Bukarest kam, um die Veröffentlichungsrechte rumänischer Werke im Westen zu kaufen, wurde sein Angebot abgelehnt. Wenn ein Komponist endlich an internationalen Festspielen teilnehmen konnte – im allgemeinen erst nach 1965 – war er oft bereits hoch betagt, und hatte entweder selbst die Veröffentlichung seines Werkes oder die Eintragung in eine Verwertungsgesellschaft (SACEM, GEMA) ausgehandelt oder aus eigenen Mitteln Bücher und wichtige Partituren erworben.
Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass rumänische Werke dennoch bei berühmten internationalen Wettbewerben gewürdigt wurden. Bei diesen internationalen Wettbewerben konnten die Partituren mit der Post geschickt werden – mit oder ohne der Erlaubnis des Verbandes; als es aber um die Teilnahme einiger junger Komponisten an internationalen Festspiele ging – dies war mit einer schwierigen Prozedur verbunden, die die Vergabe des Passes voraussetzte – blockierte Ion Dumitrescu jeden Versuch, die “experimentelle Musik“ der Jungen im Ausland bekannt zu machen. Er war damit nicht einverstanden. Hier sei ein weiteres Beispiel aus dem Jahr 1964 genannt: die Veranstalter des Warschauer Herbstes baten den Verband um kurze Partituren für das Festival, insbesondere um das Stück Coloana infinitã (Die unendliche Säule) von Tiberiu Olah. Dieses Werk war von Wlodzimierz Kotonski empfohlen worden, der seit kurzem in Bukarest war und Kontakte zu den Komponisten geknüpft hatte. Der Verband zögerte nicht nur die Antwort hinaus und machte damit eigentlich die Teilnahme Olahs in Warschau unmöglich, sondern empfahl auch nur die Kammersymphonie von Enescu, die dann noch nicht einmal aufgeführt wurde.
Das Internationale George Enescu – Festival und der Wettbewerb, der nach Enescus Tod durch die Entscheidung des Ministerrates der Rumänischen Volksrepublik begründet worden war, fanden 1958, 1961, 1964 und dann in unregelmäßigen Zeitabständen statt – eine ideale Gelegenheit, die rumänische Musik international bekannt zu machen, möchte man meinen. Doch leider wurde diese Möglichkeit nicht genutzt, im Gegenteil. Die Sensationen gab es hauptsächlich in den Interpretationswettbewerben (für Klavier, Violine, Gesang), und die berühmten ausländischen Gäste waren in erster Linie Interpreten und eben nicht Komponisten oder Musikwissenschafter, die in der Lage gewesen wären, die während des Festspiels aufgeführten rumänischen Partituren zu beurteilen und eventuell im Ausland zu fördern.
In diesem von Ideologie geprägten Umfeld, in dem der Meinungs- und Wissensaustausch mit Kollegen von hinter dem Eisernen Vorhang unmöglich war, und trotz der verschiedensten Enttäuschungen, die Komponisten aller Generationen hinnehmen mussten, wurde die Reihe wegweisender Partituren der aktuellen Kompositionsschule fortgesetzt. Neue, originelle Systeme wurden ausgeformt, die in wichtigen Studien theoretisch dargelegt wurden; und ästhetische Optionen nahmen Kontur an, die in den kommenden Jahrzehnten ebenso “modern“ empfunden werden sollten wie jene aus anderen Regionen der Welt. In diesen von der offiziellen Ideologie des Sozialistischen Realismus geprägten Jahren ist aber auch eine “Pseudo-Kultur“ entstanden, eine Musik des Rückschritts im Sinne einer Rückkehr zu den stilistischen Formalismen einer vergangenen Periode der Musikgeschichte. Andererseits ist aber auch eine Musik der gemäßigten Moderne in verschiedenen Erscheinungsformen entstanden (wie z.B. ein Neoklassizismus mit folkloristischer Authentizität). Darüber hinaus nahm eine “radikale“, avantgardistische Musik Gestalt an, die die Zwölftontechnik Schönbergs und Weberns für die Entwicklung eines disziplinierten, abstrakten Denkens übernahm.
Interessant ist, dass es gleichzeitig zwei gegensätzliche Totalitarismen im von den jeweiligen Ideologien zerrissenen Europa gab. Von der Komposition her gesehen, handelt es sich einerseits um den östlichen Sozialistischen Realismus und andererseits um den integralen westlichen Serialismus. Die Aneignung der seriellen Technik durch die junge Generation, veredelt durch eine extrem lebendige polyphone, folkloristische und byzantinische Tradition, bedeutet auf der Ebene einer soziopsychologischen Interpretation den Wunsch, der vom „Zentrum“ vorgegebenen Linie zu entfliehen. Anders ausgedrückt, ist das ein Beweis für den berühmten, oftmals erwähnten und umstrittenen „Widerstand durch Kultur“, der in diesem geographischen und kulturellen Raum nach dem Beginn des Kommunismus geleistet wurde.
[ii] Vgl. Grigore Constantinescu, Matei Socor, Edit.Muzicală, Bukarest 1983.
[iii] Typisch ist Joras Geste von Dezember 1947: als Rektor der Akademie für Musik verlangte er aufgrund der Abschaffung der Monarchie eine Gedenkminute.
[iv] O.L.Cosma, S. 156.
[v] Ebenda, S. 163.
[vi] Ebenda, S. 193.
[vii] Zit. n. O. L. Cosma, S. 211.
[viii] Z. Vancea, zit. n. O. L. Cosma, S. 269.
[ix] Iosif Sava, Ştefan Niculescu und die musikalischen Galaxien des XX. Jahrhunderts, Edit.Muzicală, Bukarest 1991, S. 41.
[x] Man muss an dieser Stelle die ideologische Einflussnahme in der Unterhaltungsgattung der sogenannten “leichten Musik” erwähnen; auch sie war teilweise dem Realistischen Sozialismus untergeordnet, und der Jazz wurde in seiner freien Entfaltung behindert.
[xi] O. L. Cosma, S. 235.
[xii] Ebenda, S. 329.
[xiii] Ebenda, S. 274.
[xiv] Ebenda, S. 284
[xv] Wir erfahren aus dem umfangreichen Band von Anton Haefeli, Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart, Atlantis Musikbuch-Verlag, Zürich 1982, dass die Organisation 1926 18 Abteilungen zählte, darunter auch eine rumänische. Sie wird in der Beilage erwähnt, in der es um die zw. 1925 und 1935 bestehenden nationalen Abteilungen geht; die rumänische Abteilung wurde schließlich zwischen 1948 und 1950 deaktiviert. Erst nach 1989 wurde die Wiedereinrichtung der rumänischen Sektion möglich.